Echtzeit-Glukosemonitoring bei Diabetes in der Schwangerschaft
Autor:innen:
Dr. Tina Linder
Ap. Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Göbl, MSc, PhD
Klinische Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin
Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Medizinische Universität Wien
E-Mail: christian.goebl@meduniwien.ac.at
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Die kontinuierliche Glukosemessung in Echtzeit (rt-CGM) gewinnt in der Schwangerschaft zunehmend an Relevanz. Sie ermöglicht eine präzise Erfassung des Glukoseverlaufs und unterstützt eine individuell optimierte Stoffwechselführung. Da hormonelle Veränderungen Insulinresistenz und -sekretion beeinflussen, gestaltet sich die glykämische Kontrolle oft schwierig. Doch welchen tatsächlichen Nutzen bietet rt-CGM für Mutter und Kind bei Typ-1-, Typ-2- und Gestationsdiabetes?
Keypoints
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Setzen Sie rt-CGM gezielt und strukturiert ein, besonders bei insulinpflichtigen Schwangeren, auffälligen Glukoseprofilen oder akzeleriertem fetalem Wachstum, welches sich nicht durch die Glukosewerte auf Basis von kapillären Messungen erklären lässt.
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Nutzen Sie zumindest zweiwöchentliche Analysen zur Therapieoptimierung und schulen Sie Patientinnen im Umgang mit Trendpfeilen und Alarmfunktionen.
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Berücksichtigen Sie das Fehlen von evidenzbasierten Grenzwerten und Empfehlungen für CGM-Metriken wie TIR oder Durchschnittsglukose für Schwangerschaftsdiabetikerinnen.
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Treffen Sie Therapieentscheidungen individualisiert unter Berücksichtigung des fetalen Wachstums.
Glukoseüberwachung in der Schwangerschaft
Hormonelle Veränderungen bedingen eine gesteigerte Insulinresistenz ab dem 2. Trimenon,1 was bei ca. 14% aller Schwangeren zur Entstehung eines Schwangerschaftsdiabetes führt.2 Diese Veränderungen erschweren die Stoffwechselführung bei vorbestehendem Diabetes und erhöhen das Risiko für chronische Hyperglykämien, die mit ungünstigen perinatalen Outcomes wie Makrosomie, erhöhter Kaiserschnittrate, neonataler Hypoglykämie und häufigerer NICU-Aufnahme assoziiert sind.3 Traditionell wird der Blutzucker mittels kapillärer Selbstmessung (SMBG) überwacht. Diese Methode liefert nur punktuelle Informationen und erfasst Hyper- und Hypoglykämien unzureichend. Rt-CGM-Sensoren erlauben eine kontinuierliche Messung interstitieller Glukosewerte alle 3–5min, wodurch Trends und Schwankungen besser sichtbar werden. Das kontinuierliche Glukosemonitoring kann somit helfen, Therapieentscheidungen zeitnah zu treffen und Glukoseverläufe zu stabilisieren. Ob rt-CGM einen Einfluss auf klinisch relevante Schwangerschaftsoutcomes hat, ist jedoch nicht endgültig belegt.
Evidenz bei vorbestehendem Diabetes
Bei Frauen mit Typ-1-Diabetes (T1D) gilt der Nutzen von rt-CGM als belegt: Die randomisierte, multizentrische CONCEPTT-Studie zeigte, dass der kontinuierliche Einsatz von rt-CGM im Vergleich zur konventionellen SMBG zu signifikant mehr Zeit im Glukosezielbereich („time in range“, TIR) und niedrigerem HbA1c führte – mit einem besseren klinischen Outcome: Die Rate an großen Neugeborenen („large for gestational age“, LGA), neonatalen Hypoglykämien und NICU-Aufnahmen über 24 Stunden war signifikant niedriger.4 Bei früheren Untersuchungen mit nur intermittierendem CGM-Einsatz konnten diese Effekte nicht nachgewiesen werden, was die Bedeutung der konsequenten Echtzeitanwendung unterstreicht.5 Die Verwendung von rt-CGM bei Schwangeren mit T1D wird in den meisten Guidelines empfohlen.6,7 Bei Typ-2-Diabetes (T2D) in der Schwangerschaft liegen weniger Daten vor. Kleinere Studien und Beobachtungsanalysen zeigen, dass rt-CGM die glykämische Kontrolle verbessert, doch fehlen robuste Belege für Verbesserungen neonataler Endpunkte.8–10
Evidenz bei Gestationsdiabetes
Die Evidenz für den Einsatz von rt-CGM beim Gestationsdiabetes (GDM) ist widersprüchlich.11 Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass der Einsatz von rt-CGM im Vergleich zur SMBG die glykämische Kontrolle verbessern und neonatale Komplikationen reduzieren kann.12 Eine größere chinesische Kohortenstudie konnte zeigen, dass eine höhere nächtliche Durchschnittsglukose, höhere AUC und mehr Zeit über den Glukosezielwerten („time above range“, TAR) mit einem höheren Risiko für Schwangerschaftskomplikationen und LGA-Neugeborene assoziiert sind. Viele Studien, die sich mit dem Einsatz von CGM in der Schwangerschaft befassen, wendeten die Sensoren jedoch häufig nur intermittierend oder verblindet an.13 Hierbei fehlt natürlich das kontinuierliche und unmittelbare Feedback, das es den Anwenderinnen ermöglicht, rasch auf Glukoseschwankungen zu reagieren – entweder durch Verhaltensanpassungen oder durch pharmakologische Interventionen.
Mehrere aktuellere randomisiert kontrollierte Studien untersuchten den Einsatz von rt-CGM bei GDM, wobei die Ergebnisse nicht eindeutig sind und viele Arbeiten zu kleine Fallzahlen für die Analyse eines klinisch relevanten Endpunktes aufwiesen. Valent et al. konnten eine höhere TIR-Rate im Vergleich zur herkömmlichen Messung mittels SMBG, jedoch keinen Effekt auf das Schwangerschaftsoutcome zeigen.14 In der kürzlich veröffentlichten Studie von Amylidi-Mohr war die TIR mit rt-CGM etwas schlechter im Vergleich zu 7 kapillären Messungen täglich; ein Effekt auf das kindliche Gewicht oder andere neonatale Parameter konnte nicht gezeigt werden. Allerdings bevorzugten die Studienteilnehmerinnen das rt-CGM-System gegenüber der herkömmlichen Fingerstichmethode.15
Unsere Arbeitsgruppe an der Medizinischen Universität Wien führte rezent eine multizentrische, multinationale, randomisiert kontrollierte Studie mit 345 schwangeren Gestationsdiabetikerinnen durch, wobei 170 Patientinnen ein rt-CGM-System von der Diagnose bis zur Entbindung nutzten und 175 Patientinnen 4-mal täglich mittels SMBG ihren Blutzucker kontrollierten. Die Kontrollgruppe erhielt 2-mal während der Schwangerschaft ein für Patientinnen und Ärzte verblindetes CGM-System.16 Zum aktuellen Zeitpunkt handelt es sich um die größte Vergleichsstudie zur kontinuierlichen Verwendung von rt-CGM bei GDM. Wir konnten eine signifikant geringere LGA-Rate, signifikant niedrigere Gewichtsperzentilen und eine Tendenz zu weniger NICU-Aufnahmen in der rt-CGM-Gruppe zeigen. Außerdem verbrachte diese bis zum Ende der Schwangerschaft mehr Zeit innerhalb des Glukosezielbereiches von 65–140mg/dl. Die rt-CGM-Gruppe erhielt signifikant mehr kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten, wobei sich die Anzahl an Patientinnen mit Insulinbedarf zwischen den Gruppen nicht unterschied. Dies entspricht den Ergebnissen einer anderen, kleineren Studie17 und könnte darauf hindeuten, dass postprandiale Hyperglykämien mittels rt-CGM häufiger detektiert werden als bei der kapillären Blutzuckermessung. In unserer Studie gab es keinen Unterschied bei unerwünschten Ereignissen oder Nebenwirkungen, sodass das Sicherheitsprofil beider Monitoring-Methoden als vergleichbar gewertet werden kann. Erwähnenswert ist eine statistisch nicht signifikante, aber tendenziell höhere Rate an „Smallforgestational age“(SGA)-Neugeborenen, die sich möglicherweise durch eine Überinsulinisierung oder zu strenge Anwendung des Glukosezielbereiches erklären lässt. Hierbei ist zu erwähnen, dass es, im Gegensatz zu vorbestehendem T1D, noch keinen Konsens bezüglich der bei GDM (und auch bei vorbestehendem T2D) empfohlenen Zeit im Zielbereich oder der anderen CGM-Metriken (Standardabweichung, Durchschnittsglukose etc.) in der Schwangerschaft gibt.18,19 Die Ergebnisse unserer Studie werden 2025 inLancet Diabetes and Endocrinology erscheinen.
Klinische Implikationen
Für Gynäkologinnen und Gynäkologen ist insbesondere relevant, dass rt-CGM im Management des Gestationsdiabetes zumindest nach aktueller Datenlage dort den größten Nutzen zeigt, wo SMBG nicht ausreichen – etwa bei insulinpflichtigen Patientinnen, bei ausgeprägten postprandialen Schwankungen oder wenn die Adhärenz zu den Messvorgaben eingeschränkt ist. Die kontinuierliche Überwachung erleichtert die Erkennung kritischer Muster und kann in der interdisziplinären Betreuung (Gynäkologie, Diabetologie, Ernährungsberatung) unmittelbar in Therapieentscheidungen umgesetzt werden. Allerdings gibt es aktuell keine Empfehlungen in Bezug auf CGM-Metriken und Grenzwerte für den GDM, sodass Therapieentscheidungen individualisiert und unter Überwachung des fetalen Wachstums erfolgen sollten.
Der Nutzen von rt-CGM hängt weiterhin von einer strukturierten Anwendung ab. Regelmäßige Auswertung der Glukoseprofile, Schulung der Patientinnen im Umgang mit Trendpfeilen und Alarmfunktionen sowie ein abgestimmtes Vorgehen im interdisziplinären Team sind entscheidende Erfolgsfaktoren. Nur so lassen sich die aus den Studien bekannten Effekte im Praxisalltag reproduzieren.
Literatur:
1 Lain KY, Catalano PM: Metabolic changes in pregnancy. Clin Obstet Gynecol 2007; 50(4): 938-48 2 Wang H et al.: IDF Diabetes Atlas: Estimation of Global and Regional Gestational Diabetes Mellitus Prevalence for 2021 by International Association of Diabetes in Pregnancy Study Group’s Criteria. Diabetes Res Clin Pract 2022; 183: 109050 3 Ye W et al.: Gestational diabetes mellitus and adverse pregnancy outcomes: systematic review and meta-analysis. BMJ 2022; 377: e067946 4 Feig DS et al.: Continuous glucose monitoring in pregnant women with type 1 diabetes (CONCEPTT): a multicentre international randomised controlled trial. Lancet 2017; 390(10110): 2347-59 5 Secher AL et al.: The effect of real-time continuous glucose monitoring in pregnant women with diabetes: a randomized controlled trial. Diabetes Care 2013; 36(7): 1877-83 6 American Diabetes Association Professional Practice Committee et al.: 15. Management of Diabetes in Pregnancy: Standards of Care in Diabetes—2025. Diabetes Care 2025; 48: S306-20 7 Quality statement 3: Continuous glucose monitoring | Diabetes in pregnancy | Quality standards | NICE. 2016; published online Jan 19. https://www.nice.org.uk/guidance/qs109/chapter/Quality-statement-3-Continuous-glucose-monitoring (accessed Oct 9, 2025) 8 Padgett CE et al.: Continuous glucose monitoring for management of type 2 diabetes and perinatal outcomes. Obstet Gynecol 2024; 144(5): 677-83 9 Voormolen DN et al.: Continuous glucose monitoring during diabetic pregnancy (GlucoMOMS): a multicentre randomized controlled trial. Diabetes Obes Metab 2018; 20(8): 1894-902 10 Murphy HR et al.: Effectiveness of continuous glucose monitoring in pregnant women with diabetes: randomised clinical trial. BMJ 2008; 337: a1680 11 Rizos EC et al.: Continuous glucose monitoring in type 1 diabetes, type 2 diabetes, and diabetes during pregnancy: asystematic review with meta-analysis of randomized controlled trials. Diabetes Technol Ther 2025; 27(7): 537-52 12 Yu F et al.: Continuous glucose monitoring effects on maternal glycemic control and pregnancy outcomes in patients with gestational diabetes mellitus: aprospective cohort study. J Clin Endocrinol Metab 2014; 99(12): 4674-82 13 Majewska A et al.: Flash glucose monitoring in gestational diabetes mellitus (FLAMINGO): a randomised controlled trial. Acta Diabetol 2023; 60(9): 1171-7 14 Valent AM et al.: Real-time continuous glucose monitoring in pregnancies with gestational diabetes: arandomized controlled trial. Diabetes Care 2025; dc250115 15 Amylidi-Mohr S et al.: Continuous glucose monitoring in the management of gestational diabetes in Switzerland (DipGluMo): an open-label, single-centre, randomised, controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2025; 13(7): 591-9 16 Huhn EA et al.: Effectiveness of real-time continuous glucose monitoring to improve glycaemic control and pregnancy outcome in patients with gestational diabetes mellitus: a study protocol for a randomised controlled trial. BMJ Open 2020; 10(11): e040498 17 Kestilä KK et al.: Continuous glucose monitoring versus self-monitoring of blood glucose in the treatment of gestational diabetes mellitus. Diabetes Res Clin Pract 2007; 77(2): 174-9 18 Battelino T et al.: Clinical targets for continuous glucose monitoring data interpretation: recommendations from the International consensus on time in range. Diabetes Care 2019; 42(8): 1593-603 19 Blonde L et al.: American Association of Clinical Endocrinology Clinical Practice Guideline: Developing a Diabetes Mellitus Comprehensive Care Plan-2022 Update. Endocr Pract 2022; 28: 923-1049
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