Meine Erfahrungen in 10 Jahren humanitärer Einsätze in Afrika
Autor:
Prof. Dr. Alexander Gardetto
Zentrum für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie mit Handchirurgie,
Kompetenzzentrum für Bionische Prothetik
Brixsana Private Clinic, Brixen
E-Mail: alexander.gardetto@brixsana.it
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Die letzten zehn Jahre habe ich in verschiedenen afrikanischen Ländern humanitäre Hilfe geleistet. Diese Zeit war voller tiefgreifender Erlebnisse und Herausforderungen, die mein Leben und meine Sicht auf die Welt verändert haben. Als ich zum ersten Mal mein komfortables Zuhause in Südtirol für einen Auslandseinsatz verließ, wusste ich nicht, dass diese Entscheidung mein Leben für immer prägen würde. Mit diesem Artikel möchte ich meine Erfahrungen und die bewegenden Geschichten der Menschen teilen und das Bewusstsein für die Herausforderungen der humanitären Helfer schärfen.
Keypoints
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In den letzten zehn Jahren habe ich an zahlreichen humanitären Einsätzen in Madagaskar, Äthiopien und Kenia teilgenommen, oft mit gefährlichen und emotional belastenden Erlebnissen. Diese Einsätze haben mich beruflich und persönlich tiefgreifend verändert.
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Durch unsere Missionen konnten wir jedes Jahr mehr Menschen helfen und die Qualität unserer Operationen, einschließlich komplexer mikrochirurgischer Techniken, wie freier Lappenplastiken, stetig verbessern. Die steigende Zahl erfolgreich behandelter Patienten bestätigt die Bedeutung unserer Arbeit.
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Eine wertvolle Lektion aus diesen Einsätzen sind die unglaubliche Widerstandskraft und Hoffnung, die Menschen in schwierigsten Lebensumständen bewahren. Diese Erfahrungen haben meinen Glauben an menschliche Stärke und das Streben nach einem besseren Leben gefestigt.
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Die Arbeit in verschiedenen afrikanischen Ländern hat meine kulturelle Sensibilität und meinen Respekt für die Vielfalt menschlicher Erfahrungen vertieft. Erfolgreiche humanitäre Hilfe basiert auf Respekt, Verständnis und enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen lokalen Gemeinschaften, Ärzten, Pflegepersonal, meinem Team und nicht zuletzt mit den Betroffenen selbst.
Ein humanitärer Einsatz ist oft mit einem breiten Spektrum an Leistungen verbunden: von logistischen Aufgaben wie dem Transport von Operationsinstrumentarien,Verbandmaterial oder Gerätschaften bis zur Koordinierung und Planung von oft hochkomplexen chirurgischen Eingriffen. Das Ziel der humanitären Hilfe ist, Leben zu retten und Leid, wo immer möglich, zu lindern. Die Hilfe und die Unterstützung richten sich allein nach der Bedürftigkeit und dürfen beispielsweise nicht zwischen Bevölkerungsgruppen oder nach Religionszugehörigkeit diskriminieren. Besonders wichtig ist, dass die Eingriffe immer so geplant werden, dass eventuelle Komplikationen noch im Zeitraum der Anwesenheit der Fachärzte behandelt und behoben werden können.
Erste Einsätze mit „Smile for Madagaskar“
Abb. 1: Anreise mit viel Gepäck
Meinen ersten humanitären Einsatz hatte ich 2014 mit „Smile for Madagaskar“, als ich mich entschloss, meine Fähigkeiten für einen guten Zweck einzusetzen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mich Dr. Ingo Plötzeneder in München bei der gemeinsamen Jahrestagung der ÖGPÄRC und der DGPRÄC angesprochen und mir seine Mission in Madagaskar beschrieben hat. Ich habe damals nicht lange überlegt und mich der Gruppe aus Vorarlberg angeschlossen. Mit Unmengen an Gepäck sind wir vom Flughafen in München gestartet (Abb. 1).
Unvergessliche Erlebnisse
Es folgten zwei weitere Einsätze mit „Smile for Madagaskar“, in denen wir pro Einsatz über 200 Operationen durchführen konnten. Zwei Geschichten sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Behandlung von Kindern ist immer eine besondere Herausforderung, aber wenn man zusätzlich noch über die Schicksale solcher Kinder und ihrer Eltern hört, dann ruft das große Emotionen hervor:
Die Reise des Vaters und die Tränen des Mädchens
Bei der ersten Mission kam eines Tages ein Vater mit seinem kleinen Mädchen zu uns ins Krankenhaus in Tulear im Südwesten von Madagaskar. Die Kleine hatte eine enorme Geschwulst am rechten Oberschenkel, die die Durchblutung des Beines schon stark beeinträchtigte. Sie hatten eine 300km lange Reise mit einem Ochsenkarren durch die marode Landschaft Südmadagaskars unternommen, um zu uns nach Tulear zu gelangen. Als wir den erschöpften Gesichtsausdruck des Vaters und das schmerzverzerrte Gesicht des Mädchens sahen, zögerten wir nicht lange. Ingo und ich operierten sofort und entfernten den Tumor vollständig. Die Durchblutung des Beines konnte wiederhergestellt werden, und der Vater und seine Tochter konnten nach ein paar Tagen gesund wieder die Heimreise antreten (siehe Abb. 2a und 2b).
Abb. 2: a) Vater und Kind reisen an, b) die Beine des Kindes im Vergleich
Das weinende Mädchen mit dem Koffer
Ein weiteres tief bewegendes Erlebnis hatten wir in einer anderen Mission gegen 17Uhr am Abend. Wir waren von einem anstrengenden Tag müde, als ich vom Balkon des Krankenhauses ein kleines Mädchen mit einem Koffer mutterseelenalleine weinend im Hof stehen sah. Als ich zu ihr ging, lief sie zunächst vor mir weg. Sie hatte Angst und wusste nicht genau, wo sie war.Wenn sich in so einer Situation einem noch dazu ein Weißer, verkleidet als Chirurg, nähert, würden wahrscheinlich auch andere weglaufen. Erst durch die beruhigenden Worte unseres Guides vor Ort gewann das Mädchen Vertrauen. Im Koffer des Mädchens fanden wir einen Brief seiner Mutter, der uns das Herz brach. Darin stand ein verzweifelter Hilferuf: „Meine Tochter hat eine ausgeprägte Lippenspalte und wird im Dorf von den anderen Kindern ausgestoßen.“ Die Mutter lebte in einem Dorf über 200km entfernt, das Geld für die Reise hattenichtfür beide ausgereicht. Sie hatte den Busfahrer gebeten, ihre Tochter vor dem Krankenhaus abzusetzen und darauf zu achten, dass sie ins Areal des Krankenhauses ging. Von da an war das Mädchen auf sich allein gestellt. Obwohl sich unsere Mission schon fast dem Ende näherte, beschlossen wir, das Mädchen noch am selben Abend zu operieren. Wir schlossen die große Spalte an der Lippe und im vorderen Gaumen. Eine unserer Brustkrebspatientinnen, der wir Tage zuvor erfolgreich einen Tumor entfernt hatten, kümmerte sich dann in den nächsten Tagen liebevoll um das Mädchen. Nach fünf Tagen war sie stark genug für die Heimreise, die Brustkrebspatientin setzte sie in den Bus und kaufte ihr ein Ticket nach Hause. Für ihre Unterstützung erhielt die Frau von uns die nötige Hilfe (Abb. 3a–c).
Abb. 3: a) Die kleine Patientin bei der Ankunft, b) nach OP und c) vor der Heimreise
Diese beiden und alle anderen Erlebnisse zeigten mir die tiefe Bedeutung unserer Arbeit und die unglaubliche Stärke und Liebe, die in den Herzen der Menschen wohnt. Sie erinnerten mich daran, warum wir diese Einsätze machen und wie wichtig es ist, niemals aufzugeben, auch wenn die Umstände noch so schwierig erscheinen.
Weitere Einsätze in Äthiopien und Kenia
Abb. 4: OP im Krankenhaus in Attat, Äthiopien
In den darauffolgenden Jahren hatte ich die Gelegenheit, an mehreren humanitären Einsätzen in Äthiopien mit den „Südtiroler Ärzten in der Welt“ und in Kenia mit „Help for Life“ unter der Patronanz der Diözese und Universität Padova teilzunehmen. Diese Einsätze waren geprägt von unterschiedlichsten Erlebnissen, die manchmal auch gefährlich waren (Abb. 4).
Ein besonders prägendes Erlebnis hatte ich in Äthiopien 2018. Eines Morgens um 4 Uhr wurden wir plötzlich aus dem Krankenhaus in Attat, 180km südwestlich von Addis Abeba, evakuiert, da sich in der Umgebung Unruhen ausgebreitet hatten und geschossen wurde. Mit einem Wagen des Roten Kreuzes und gehisster Fahne wurden wir in die Hauptstadt Addis Abeba gebracht. Die Fahrt war erschreckend; wir sahen tote Menschen am Straßenrand und bewaffnete Gestalten, die uns mit Maschinengewehren im Visier hatten. Dies war das erste Mal, dass ich wirkliche Angst verspürte. Doch das Bewusstsein, dass solche Missionen Risiken bergen, und die beruhigenden Worte unseres Fahrers halfen, diese Angst zu mildern. Nach fünf Stunden Autofahrt erreichten wir schließlich sicher die Hauptstadt. Dieses Erlebnis hat mir gezeigt, dass humanitäre Einsätze nicht nur physische und psychische Belastungen mit sich bringen, sondern auch mit einer gewissen Gefahr verbunden sein können. Trotzdem haben sie meinen Entschluss, weiterhin Hilfe zu leisten, nur gestärkt.
Seit einigen Jahren fahre ich besonders gerne nach Kenia, wo wir ca. 200km nördlich von Nairobi im North Kinangop Catholic Hospital mit unseren Missionen jedes Jahr mehr Menschen helfen und unsere Operationen stetig verbessern können. Die Fortschritte, die wir dort erzielen, sind bemerkenswert. In den letzten zwei Jahren habe ich in Kenia begonnen, komplizierte Rekonstruktionen mit mikrochirurgischen Techniken durchzuführen. Diese anspruchsvollen Eingriffe, einschließlich freier Lappenplastiken, sind mittlerweile routiniert und kein Problem mehr für das gesamte Team. Die positiven Ergebnisse und die steigende Anzahl erfolgreich behandelter Patienten bestätigen die Bedeutung und den Erfolg unserer Arbeit vor Ort (Abb. 5a, b).
Abb. 5: a) Präparation und Hebung des ALT-Lappens bei einem 7-jährigen Kind vom linken Oberschenkel zur mikrochirurgischen Rekonstruktion eines tiefen Weichteildefektes an der linken Ferse. b) Ende der OP mit gut durchbluteten ALT-Lappen
Abb. 6: Blick in den Schulungsraum
Abb. 7: Visite 2018 im North Kinangop Catholic Hospital in Kenia auf der Pädiatrie
Abb. 8: Verbandswechsel im Krankenhaus von Tulear in Madagaskar
Zudem ist es mir auch sehr wichtig, bei jeder Mission vor Ort 2–3 Fortbildungen zu machen, bei denen ich versuche, die Möglichkeiten der modernen plastischen Chirurgie den lokalen Ärzten und dem Pflegepersonal weiterzugeben (Abb. 6).
Es ist unglaublich erfüllend, zu sehen, wie unsere Bemühungen das Leben der Menschen nachhaltig verbessern und wie wir gemeinsam immer größere Fortschritte erzielen. Ich habe viele beeindruckende Menschen kennengelernt, deren Geschichten mich tief bewegt haben. Die letzten zehn Jahre haben mich beruflich und persönlich tiefgreifend verändert. Ich habe gelernt, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen und die wahren Werte wie Mitgefühl, Respekt und Menschlichkeit zu erkennen. Die humanitären Einsätze haben mir eine neue Perspektive auf die Welt und die Bedeutung von Gemeinschaft und Solidarität vermittelt.
Eine der wertvollsten Lektionen waren die unglaubliche Widerstandskraft und Hoffnung der Menschen in den schwierigsten Lebensumständen. Diese Erlebnisse haben meinen Glauben an die menschliche Stärke und das unermüdliche Streben nach einem besseren Leben gestärkt. Die täglichen Begegnungen mit Menschen, die oft nur das Nötigste zum Überleben haben, haben mich demütig gemacht und gezeigt, wie wichtig Dankbarkeit ist.
Die Arbeit in verschiedenen afrikanischen Ländern hat meine kulturelle Sensibilität und meinen Respekt für die Vielfalt menschlicher Erfahrungen vertieft. Ich habe erkannt, dass effektive Hilfe nur mit Respekt und Verständnis für die lokale Kultur und die Bedürfnisse der Menschen möglich ist. Diese Erkenntnisse haben meine Arbeitsweise und die Sichtweise auf die Welt erweitert und bereichert.
Abb. 9: Gruppenfoto 2022 ...
Abb. 10: ... und 2023 im OP vom North Kinangop Catholic Hospital in Kenia
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kraft der Gemeinschaft und Zusammenarbeit. Viele Erfolge in meiner humanitären Arbeit wären ohne die enge Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften, den lokalen Ärzten und Pflegepersonal sowie meinem Team und den Betroffenen selbst nicht möglich gewesen. Diese Zusammenarbeit hat gezeigt, wie viel wir erreichen können, wenn wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten.
Die Herausforderungen der letzten zehn Jahre haben mir meine eigene innere Stärke und Belastbarkeit offenbart. Es gab Momente des Zweifelsundder Verzweiflung, doch diese Erlebnisse haben mir gezeigt, dass ich Widrigkeiten überwinden und in schwierigen Zeiten stark bleiben kann. Diese persönliche Entwicklung hat mein Selbstbewusstsein gestärkt und mich auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet.
Abb. 11: Abschiedsfoto einiger Kinder, die im Einsatz von 2018 im North Kinangop Catholic Hospital in Kenia operiert wurden
Fazit
Abb. 12: Liebe Dankesgrüße von zwei kleinen Patienten im Einsatz von 2019 in Kenia
Zusammenfassend kann ich sagen, dass diese transformativen Reisen in der humanitären Hilfe in Afrika mein Leben und meine Sicht auf die Welt nachhaltig verändert haben. Die Erfahrungen und Erkenntnisse sind unbezahlbar und haben mir gezeigt, dass wahre Erfüllung darin liegt, anderen zu helfen und einen positiven Unterschied in der Welt zu machen. Trotz der oft anstrengenden, gefährlichen und emotional belastenden Arbeit werde ich weiterhin humanitäre Hilfe leisten. Mein nächster Einsatz führt mich Ende Oktober wieder nach Kenia, von wo ich jetzt schon Bilder von Patienten bekomme, die wir dann behandeln werden. Humanitäre Arbeit ist mehr als nur ein Job – es ist eine Berufung, die tiefgreifende Veränderungen im Leben vieler Menschen bewirken kann. Ich blicke mit Dankbarkeit und Demut auf diese Zeit zurück und freue mich auf die kommenden Herausforderungen und Chancen, weiterhin Gutes zu tun.
Literatur:
beim Verfasser
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