„Das X-Chromosom ist reich an Genen des Immunsystems“
Unser Gesprächspartner:
Dr. Leonhard Heinz
Universitätsklinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien
Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte
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Autoimmunkrankheiten treten häufiger bei Frauen auf. Forscher aus den USA haben eine Erklärung gefunden: Es könnte mit Autoantikörpern gegen Xist-Ribonukleoproteinkomplexe zusammenhängen, die sozusagen die „Verpackung“ des inaktiven X-Chromosoms sind.1 Wie er die Ergebnisse einordnet, erklärt Dr. Leonhard Heinz aus Wien.
Haben die Ergebnisse Sie überrascht?
L. Heinz: Durchaus. Sie zeigen einen neuen Mechanismus, der zum gehäuften Auftreten von Autoimmunerkrankungen bei Frauen beitragen könnte. Es wurden bereits verschiedenste Faktoren erforscht, die eine Rolle spielen könnten. Das X-Chromosom ist insofern interessant, als es reich an Genen des Immunsystems ist und deren Dysbalance die Krankheitsentstehung antreiben könnte. Aus meiner Sicht sind die neuen Ergebnisse wichtig und bringen die Xist-RNA in den Fokus, sie erklären aber nicht allein, warum Frauen häufiger erkranken. Auch Sexualhormone spielen eine wichtige regulatorische Rolle im Immunsystem, und es gibt Hinweise darauf, dass Männer und Frauen eine unterschiedliche Zusammensetzung der Immunzellen haben.
Die Erkenntnisse beruhen im Wesentlichen auf Tierversuchen. Lassen sich diese auf den Menschen übertragen?
L. Heinz: Hier sehe ich in der Tat eine Limitation der Studie. Ein Großteil der erhobenen Daten basiert auf einem Mausmodell: Eine genetisch veränderte Variante der hier untersuchten Xist-RNA wurde in die Versuchstiere eingebracht. Diesem modifizierten Molekül fehlen jedoch wichtige Teile, die für die normale Funktionsweise der Xist-RNA benötigt werden. Der gewählte Ansatz spiegelt so also nur zum Teil die natürliche Wirkweise dieser RNA wider. Die Arbeit zeigt zwar, dass manche Aspekte, etwa die Bildung von Autoantikörpern gegen Xist-Ribonukleoproteinkomplexe, auch bei Menschen beobachtet werden können, weitere Forschung ist aber notwendig, um den Beitrag der Xist-RNA im humanen System zu bestätigen.
Was halten Sie vom Studienaufbau?
L. Heinz: Die Autoren haben elegante genetische Ansätze mit modernen molekularbiologischen Methoden zur Einzelzellanalyse kombiniert. Damit gelingt es, ein sehr detailliertes Bild der Vorgänge während der Krankheitsentstehung zu zeichnen. Eine Limitation sehe ich in der Wahl des SLE-Mausmodells. Beim Menschen ist SLE eine sehr heterogene und komplexe systemische Erkrankung, die sich in verschiedenen Geweben manifestieren kann. Die zur Verfügung stehenden Mausmodelle sind limitiert und können jeweils nur spezifische Teilaspekte darstellen.
Halten Sie die Erklärung, wie die Autoantikörper entstehen, für plausibel?
L. Heinz: Ja. Die Xist-RNA bindet an spezifische Proteine, gegen die Autoantikörper nachgewiesen wurden. Das lässt die Vermutung zu, dass dieser Ribonukleoproteinkomplex eine immunogene Wirkung hat. Interessanterweise hat eine Studie von 2023 ebenfalls gezeigt, dass die Xist-RNA selbst eine aktivierende Wirkung auf das Immunsystem hat und hierbei diesen Prozess verstärken könnte.2
Meinen Sie, die Erkenntnisse könnten für die Therapie genutzt werden?
L. Heinz: Jede Entdeckung aus der Grundlagenforschung hat das Potenzial, neue therapeutische Möglichkeiten aufzuzeigen. Im Falle der Xist-RNA sollte man aber vorsichtig vorgehen, da sie eine besonders wichtige regulatorische Rolle bei der Stilllegung eines der beiden weiblichen X-Chromosomen hat. Weibliche Mäuse, denen die Xist-RNA fehlt, sind z.B. nicht lebensfähig. Weitere Forschung könnte hier aber spezifischere Ansatzmöglichkeiten liefern.
Sie forschen über molekulare Signalwege des angeborenen Immunsystems und deren Rolle bei Autoimmunerkrankungen. Was haben Sie gefunden?
L. Heinz: Mein Fokus liegt auf endosomalen Toll-like-Rezeptoren (TLR), die als wichtige Sensoren für Viren und Bakterien agieren. Die Signalkaskaden, die durch TLR aktiviert werden, stehen mit der Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie SLE, RA und SSc in Verbindung. Was mich besonders interessiert ist, dass mehrere Elemente dieses Systems, etwa TLR7 und TLR8 und das von uns entdeckte Partnerprotein TASL,3 auf dem X-Chromosom codiert sind und durch inkomplette Stilllegung des X-Chromosoms bei Frauen stärker exprimiert werden können. Wir vermuten, dass eine vermehrte Aktivierung dieser Signalwege bei Frauen mit dem erhöhten Risiko für Autoimmunerkrankungen in Verbindung steht.
Wir konnten kürzlich zeigen, dass es möglich ist, chemische Substanzen zu finden, die die Aktivierung dieser TLR durch Abbau des TASL-Proteins blockieren können.4 Diese Entdeckung könnte die Grundlage für die Entwicklung neuer Medikamente darstellen.
Literatur:
1 Dou DR et al.: Cell 2024; 187: 733-49 2 Crawford JD et al.: JCI Insight 2023; 8: e169344 3 Heinz LX et al.: Nature 2020; 581: 316-22 4 Boeszoermenyi A et al.: Nat Commun 2023; 14: 6626
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