Fachärztemangel in Österreichs Spitälern
Autor:
Priv.-Doz. DDr. Georg Haymerle
ehemaliger HNO-Facharzt, Kopf- und Hals-Chirurg
Gründer von The Nature Conversations GmbH
Küssnacht am Rigi, Schweiz
Der Fachärztemangel in Österreichs Spitälern ist kein abstraktes Problem, sondern ein sehr reales, das uns im Alltag ständig begleitet. Um eine Erklärung für dieses Phänomenzu finden, habe ich eine Umfrage unter Kolleg:innen initiiert und war über die Gründe für den Austritt aus den Kliniken überrascht. Woran liegt es nun, dass Fachärzt:innen die Niederlassung vorziehen?
Keypoints
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Ärzt:innen verlassen Spitäler nicht wegen des Gehalts, der Arbeitszeiten und der Bürokratie. Die Hauptursachen sind mangelnde Wertschätzung und Kommunikation sowie schlechte Organisation von Standardabläufen.
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Abteilungen, die weniger oder nicht vom Fachärztemangel betroffen sind, kümmern sich um das Team, um die Mitarbeiter:innen und investieren Zeit und Energie darin, dass sich die Ärzt:innen wohlfühlen.
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Erfolgreiche Teams in Sport und Wirtschaft sind deshalb erfolgreich, weil für sie der Erfolg des Teams höchste Priorität hat.
Jede dritte HNO-Abteilung in Österreich hat zu wenig Fachärzt:innen, um den Routinebetrieb stressfrei aufrechtzuerhalten. Und jede zweite dieser Abteilungen ist akut gefährdet, schließen zu müssen. Der Grund ist, dass viele gut ausgebildete Fachärzt:innen das Spital verlassen und in eine Ordination gehen. Gleichzeitig sagen drei von vier Fachärzt:innen, dass sie eigentlich lieber im Spital bleiben würden, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Hier lesen Sie über die Ergebnisse einer Umfrage mit HNO-Fachärzt:innen über die persönlichen Gründe für Kündigungen im Spital.
Medizin einst und jetzt
Die Medizin steht in einem konstanten Wandel – neue Therapien, neue Guidelines, die Revolution durch KI steht kurz bevor. Und trotzdem oder gerade deswegen verlassen immer mehr Ärzt:innen die Spitäler oder die Medizin allgemein.
Ärzt:innen sind gewohnt, Dinge so zu tun, wie sie sie immer getan haben. Einmal Bewährtes wird fortgeführt, auch wenn die Informationen vorhanden sind, dass ein neuer Standard besser funktioniert oder empfohlen wird. Ärzt:innen haben nicht gerne Veränderung, sie haften oft an Routinen und Gewohnheiten. So ist es immer gewesen. Das hat immer funktioniert. Von Symptomen zur Diagnose und zur Therapie. Das ist einfach und in der Chirurgie noch einfacher: Diagnose – Ursache wegschneiden. Die Art und Weise, wie man eine Kehlkopfentfernung durchführt, ist im Großen und Ganzen seit 100 Jahrenunverändert.
Die Medizin ist aber nicht mehr so unveränderlich. Die Überflutung durch Neuerungen ist allgegenwärtig. Die Zeiten haben sich gewandelt. Ärzt:innen arbeiten nicht mehr 100 Stunden pro Woche, männliche Kollegen wollen Teilzeit arbeiten, um für ihre Rolle in der Familie Zeit zu haben. Ärztinnen wollen trotz Kindern wieder 100% im Spital arbeiten. Früher war die Motivation, Arzt bzw. Ärztin zu sein, Karriere, Ansehen, ein gutes Gehalt und eine Erfüllung im Job zu finden. Heutzutage wollen unverändert viele junge Leute Ärztinnen und Ärzte werden. Die Zugangstests für das Medizinstudium werden völlig beansprucht, es werden auch viele Jungmediziner:innen ausgebildet. Und trotzdem haben wir einen Mangel an gut ausgebildeten Fachärzt:innen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Irgendwo zwischen Traumjob Arzt bzw. Ärztin und der Realität des Alltages als Facharzt bzw. Fachärztin im Spital gehen die Erwartungen und Tatsachen auseinander. Die Digitalisierung hat in vielen Spitälern nicht die Erleichterung von administrativen Aufgaben gebracht, die man erwartet. Ganz im Gegenteil, viele Abläufe werden doppelt am Papier und am Computer durchgeführt. Ärzt:innen sind 50% ihrer Zeit damit beschäftigt, Dokumente zu erstellen, zu suchen oder zu kontrollieren.
Wertschätzung und Kommunikation
Spitäler sind große Unternehmen, Veränderungen brauchen Zeit und müssen im laufenden Betrieb umgesetzt werden. Es ist nicht möglich, einen OP-Saal oder eine Ambulanz für einen oder mehrere Tage zu schließen, um wichtige Entscheidungen anzugehen und Veränderungen zu implementieren.
Die Verwaltung von Spitälern und Gesundheitseinrichtungen wird immer aufwendiger. Gleichzeitig nimmt das Gefühl fehlender Wertschätzung durch das Spitalbei Ärzt:innen immer mehr zu. Ärzt:innen und Pflegekräfte sind das wahre Potenzial eines Spitals. Im Alltag bekommt das medizinische Personal davon aber reichlich wenig mit. Ärzt:innen sind Menschen, die gesehen, gehört und verstanden werden wollen. Wie Menschen in anderen Sparten auch.
Heuss und Kollegen haben 2020 in ihrer Umfragestudie an Schweizer Spitälern zur Kommunikation der Generationen herausgefunden, dass ein positiver Umgangston, konstruktives Feedback und eine motivierende Führungskommunikation wesentliche Faktoren für die Arbeitszufriedenheit von Ärzt:innen sind.1 Bisher war es aber nicht nötig, sich um dieseBedürfnisse zu kümmern – es gab genug Ärztinnen und Ärzte und diese haben auch Tag und Nacht gearbeitet. Jetzt gibt es einen Mangel. Wir müssen also etwas ändern.
Wir müssen etwas ändern und wie dies gelingen kann
Was wir ändern, kann aber nicht eine wirtschaftliche Entscheidung sein oder eine Entscheidung eines bzw. einer extern Beratenden. Die Entscheidung, was notwendig ist, damit sich Ärzt:innen wieder im Spital wohlfühlen, gerne dort arbeiten und langfristig eine Perspektive im Spital sehen, muss von den Ärzt:innen selbst kommen.
Meine Umfragen und persönlichen Gespräche mit HNO-Fachärzt:innen und Primarärzt:innen bzw. Chefärzt:innen in Österreich, Deutschland und der Schweiz zeigen ein einheitliches Bild: Jene Abteilungen, die weniger oder kein Problem mit dem Fachärztemangel haben, haben eines gemeinsam. Ihre Chefs geben im Gespräch mit mir an, dass sie nicht wissen, was sie anders machen. Was sie laut deren Angaben machen, ist, dass sie sich um ihre Mitarbeiter:innen kümmern, dass sie es als ihre Aufgabe sehen, für sie da zu sein und darauf zu achten, dass sie sich wohlfühlen. Das hat nichts mit Streicheleinheiten zu tun, sondern mit echtem Interesse und authentischer Wertschätzung für die Menschen in ihrem Umfeld sowie der Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse.
Die 4 Grundbedürfnisse, nach deren Erfüllung jeder Mensch strebt, sind:
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Verbundenheit: Wir wollen zu einer Gemeinschaft gehören, verstanden werden, wahrgenommen werden.
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Selbstbestimmung: Wir wollen mitentscheiden können über unser Leben, reine Fremdbestimmung führt zu hoher Frustration.
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Sicherheit: Wir wollen darauf vertrauen können, dass etwas, das heute gilt, auch morgen noch gültig ist.
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Entspannung: Erholung und Spaß sind wichtige Fundamente für unsere Arbeit.
Abteilungen, die stark vom Mangel betroffen sind, suchen die Schuldigen in der Politik, in der Attraktivität des niedergelassenen Bereiches oder im Spital als solchem. Fachärzt:innen, die zufrieden sind in ihrem Spital, geben als ersten Grund ein gutes Team und Kolleg:innen an, mit denen sie gerne Zeit verbringen. Weiters geben sie an, bei wichtigen Entscheidungen, wie der Auswahl von Bewerber:innen für Ausbildungsstellen, ein Mitspracherecht zu haben und die Möglichkeit für persönliche und fachliche Weiterbildung.
Die wichtigsten Faktoren für die Zufriedenheit von Ärzt:innen im Spital sind folgende:
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ein gut funktionierendes Team
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das Gefühl der Wertschätzung durch Führungspersonen
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die Möglichkeit für persönliche und fachliche Weiterentwicklung
Erfolgreiche Teams im Profisport und in der Wirtschaft haben laut Bartlett nicht das meiste Geld, die klügsten Köpfe oder die talentiertesten Mitarbeiter:innen, sondern sie setzen auf das Potenzial jedes Einzelnen bzw. jeder Einzelnen und konzentrieren sich auf den Erfolg des Teams statt auf den Erfolg des Individuums.2 Wenn alle ein gemeinsames Ziel, eine geteilte Vision verfolgen, dann stehen die persönlichen Interessen nicht mehr im Vordergrund und es fällt uns leichter, andere zu unterstützen. Wenn der eigene Erfolg im Erfolg der anderen liegt, dann ist echtes Teamwork möglich und die Zufriedenheit ist an den Prozess geknüpft und nicht an das Endergebnis.
Schlussfolgerung
Wenn wir erfolgreiche Strategien aus anderen Branchen in die Medizin übernehmen, die Menschen in den Vordergrund stellen und die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter:innen im Spital abdecken, ist es möglich, langfristig attraktive Arbeitsplätze zu schaffen und dem Fachärztemangel entgegenzuwirken.
Die Sicht der Ärztekammer
Im November 2024 wurde im Rahmen einer Enquete der Bundeskurie angestellte Ärzte der ÖÄK die Frage „Teilzeit im Spital – ein notwendiger Trend?“ diskutiert. Dabei wurde die Notwendigkeit der Attraktivierung der Arbeit im Spital thematisiert, im Vordergrund stand allerdings die Work-Life-Balance – also wie Teilzeitmodelle umgesetzt werden können. Mit Blick auf die Entwicklung der Zahlen seit 1999 (Abb. 1) bleibt es fraglich, ob allein damit die Abwanderung von Fachärzt:innen in den niedergelassenen Sektor verhindert werden kann.
Abb. 1: Entwicklung der Zahl der Fachärzt:innen mit Ordinationen nach Vertragsausstattung, jeweils Stand Dezember (Quelle: Ärztekammer Österreich)
Literatur:
1 Heuss S, Datta S: Wie kommunizieren Ärztinnen und Ärzte untereinander? Studienerkenntnisse für eine verbesserte Kommunikation zwischen Generationen im Spital. 2020: https://www.fhnw.ch/de/personen/sabina-heuss/spitalbericht_kommunikation_fhnw.pdf ; zuletztaufgerufen am 24.9.2024 2 Bartlett S: The Diary of a CEO: The 33 laws of business and life. Rushden, UK: Ebury Edge, 2023
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