
Wie technologische Fortschritte die Entwicklung in der Medizin beschleunigen
Bericht:
Mag. Dr. Anita Schreiberhuber
Die immer schnellere Entwicklung in der Wissenschaft und die Einführung innovativer Methoden wirken sich auch auf Diagnose und Therapie in der Medizin aus. Anhand von konkreten Beispielen wurde in der Keynote Lecture erläutert, was bereits möglich ist und welches Potenzial sich damit in der Zukunft bietet.
In der Keynote Lecture „Knowledge creates evidence – what the future holds?“ referierte Prof. Dr. Jürgen Gschwend, TUM Universitätsklinikum, Klinikum rechts der Isar, München, über die Fortschritte in der Medizin, die nicht zuletzt auf die Fortschritte in der Technik wie der zunehmenden Implementierung von Artificial Intelligence (AI) zurückzuführen sind.
„Wissenschaft basiert auf Evidenz. Diese ist entscheidend für die Prüfung von Hypothesen zur Gewinnung verlässlicher Informationen. In Zeiten von Fake News gewinnen Wissen und Evidenz sogar noch mehr an Bedeutung“, äußerte sich Gschwend eingangs zu Beginn Vortrags. Danach erläuterte er anhand von konkreten Beispielen, welche Errungenschaften bereits erzielt worden sind und welche Benefits sie mit sich bringen.
AI-gestütztes Lymphknotenstaging
Gegenwärtig ist bei Diagnose eines muskelinvasiven Hochrisiko-Urothelkarzinoms (UC) die Durchführung einer CT Standard, um die Lokalisation der Lymphknoten(LN)-Metastasen zu bestimmen. In einer Untersuchung wurden 391 im CT als pathologisch eingestufte pelvine LN von Radiologen segmentiert und basierend darauf mittels eines AI-basierten Systems von jedem LN 1004 radiomische Merkmale extrahiert. Die radiomische Signatur ermöglichte die Differenzierung des Nodalstatus mit einer hohen Präzision (Sensitivität: 73%).1 Gschwend geht davon aus, dass derartige AI-gestützte Verfahren in der Diagnostik zunehmend eine wichtige Rolle spielen werden.
Biomarker zur Vorhersage eines ADT-Erfordernisses
Ein weiteres Beispiel, wie uns die AI in der Medizin unterstützen kann, ist das ArteraAI-Predict-Modell: Dabei handelt es sich um einen digitalen Pathologie-basierten Biomarker zur Vorhersage des Benefits von einer Androgendeprivationstherapie (ADT) bei lokalisiertem Prostatakarzinom (PCa). Dieser Biomarker wurde im Rahmen der Phase-III-Studie NRG/RTOG 9408 validiert. Dafür wurden aus fünf randomisierten Phase-III-Studien Biopsie-Slides digitalisiert und mittels AI analysiert. Diese stammten von Männern, die vor einer Radiotherapie (RT) ± ADT gestanden waren. In der Studie NRG/RTOG 9408 wurde der Biomarker dazu benutzt, zwischen Patienten zu differenzieren, die keine (Biomarker-negative Gruppe) bzw. eine (Biomarker-positive Gruppe) zusätzliche ADT zusätzlich zur RT benötigten. Das Risiko für die Entwicklung von Fernmetastasen (DM) korrelierte mit der Zuteilung in die positive bzw. negative Gruppe durch das AI-gelenkte Modell: Die DM-Rate nach 15 Jahren lag in der Biomarker-negativen Gruppe bei 0,4% und in der Biomarker-positiven Gruppe bei 9,8%. Damit konnte auch bestätigt werden, dass der Verzicht auf eine ADT in der Biomarker-negativen Gruppe eine gangbare Strategie ist.2 „Der Verzicht auf eine ADT geht für die Patienten mit einer Vermeidung von unnötigen Nebenwirkungen und dem Benefit einer höheren Lebensqualität einher. Der in der Studie validierte Biomarker ist in den USA bereits etabliert“, merkte Gschwend dazu an.
Innovative medikamentöse Therapien
Die Einführung von zielgerichteten Therapien hat schon vor mehr als 20 Jahren mit der Entwicklung von Imatinib bei BCR-ABL+ chronischer lymphatischer Leukämie begonnen. Seitdem ist aber basierend auf der zunehmenden Identifikation von blockierbaren Targetmutationen und damit einhergehenden molekularen Testungen eine ganze Flut an zielgerichteten Substanzen entwickelt worden, die sich bei einer Vielzahl an malignen Erkrankungen als „game-changing“ erwiesen haben. Nachdem im Bereich der Onkologie ein Trend in Richtung einer Therapie vielmehr basierend auf genetischen Alterationen als nach Tumorentität zu verzeichnen ist, ist davon auszugehen, dass in diesem Zusammenhang die klinische Relevanz des Next-Generation-Sequencing (NGS) weiter zunehmen wird.3
Als absolute „breakthrough study“ bezeichnete Gschwend die Phase-III-Studie EV-302/KEYNOTE-A39, in der erstmals beim UC durch den Zusatz des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats (ADC) Enfortumab Vedotin (EV) zu Pembrolizumab (Pembro) die signifikante Überlegenheit im Gesamtüberleben (OS) vs. Chemotherapie (CTx) nachgewiesen werden konnte: 886 therapienaive Patient:innen mit lokal fortgeschrittenem/metastasiertem UC wurden im 1:1-Schma zu EV + Pembro bzw. CTx randomisiert. Nach einem medianen Follow-up von 17,2 Monaten war das OS unter EV + Pembro vs. CTx mit 31,5 vs. 16,1 Monate beinahe doppelt so lang wie unter CTx (p<0,00001; HR: 0,47). Auch das progressionsfreie Überleben, das mit dem OS den primären Endpunkt bildete, war unter der Kombination ADC + Immuncheckpoint-Inhibitor vs. CTx fast verdoppelt (12,5 vs. 6,3 Monate; p<0,00001; HR: 0,45).4 „Wir hatten niemals so einen großen Erfolg beim UC erwartet. Jahrelang hatten wir bei dieser Tumorentität nur die platinbasierte CTx als Therapieoption. Zum Glück ist inzwischen eine große Anzahl an anderen Substanzen verfügbar“, kommentierte Gschwend diese Ergebnisse.
Polygener Risikoscore für PCa-Screening
Ein signifikanter Anteil von PCa ist auf hereditäre Risikofaktoren zurückzuführen. Ein eigens entwickelter polygener Risikoscore könnte bald erfolgreich zur genetischen Testung auf das Risiko für ein genetisch bedingtes PCa zum Einsatz kommen: In der Studie BARCODE-1 wurde ein PRS zum Screening von Personen eingesetzt, die basierend auf ihrem Genotyp ein höheres Risiko für ein PCa aufwiesen. 40282 Männer zwischen 50 und 69 Jahren wurden eingeladen, einen Speicheltest für die genomische Analyse durchzuführen. Von den 8953 Interessenten wurde bei 6142 eine Genotypisierung vorgenommen, davon wurde bei 745 ein Hochrisikoscore festgestellt und von diesen wiederum wurde bei 40% ein PCa detektiert. Bei mehr als der Hälfte handelte es sich um ein klinisch signifikantes PCa (Gleason Score >7); auffällig ist, dass sich keine Korrelation mit dem PSA oder der Bildgebung fand. Diese erste Studie zu diesem Screeningansatz zeigt, dass ein populationsbasiertes Screeningprogramm durchführbar und lohnend ist.5
Quelle:
10th Michael J. Marberger Annual Meeting, 13. Dezember 2024, Wien
Literatur:
1 Gresser E et al.: Radiomics signature using manual versus automated segmentation for lymph node staging of bladder cancer. Urol Focus 2023; 9(1): 145-53 2 Spratt D et al.: ASCO GU 2022; Abstract #223 3 Waarts MR et al.: Targeting mutations in cancer. J Clin Invest 2022; 132(8): e15943. doi: 10.1172/JCI154943 4 Powles T et al.: ESMO 2023; Abstract #LBA6 5 Eeles EA et al.: ASCO 2024; Abstract #10500