Die Martin-Gruber-Anastomose
Autor:innen:
Dr. Kerstin Kammerer
Dr. Markus Kerbl
Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Michlits
Fachschwerpunkt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie
Landesklinikum Wiener Neustadt
E-Mail der korrespondierenden Autorin: kerstin.kammerer@wienerneustadt.lknoe.at
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Komplette Läsion des N. ulnaris nach schwerem Trauma bei gleichzeitig nahezu intakter Motorik. Dank einer Nervenvariation, der sogenannten Martin-Gruber-Anastomose, behält ein 21-jähriger Motorradfahrer die Funktion seiner Unterarm- und Handmuskulatur.
Keypoints
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Neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung sind die elektrophysiologische Testung und der neuromuskuläre Ultraschall zur Diagnostik einer MGA erforderlich.
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Das Vorliegen einer MGA erschwert die Interpretation elektrophysiologischer Befunde im Rahmen der Diagnostik peripherer Nervenläsionen.
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Die präoperative Kenntnis einer vorliegenden MGA ist entscheidend, um intraoperativ einen iatrogenen Verlust der Sensibilität oder der motorischen Funktion zu vermeiden.
Anatomie und Prävalenz
Die Martin-Gruber-Anastomose (MGA) ist eine anatomische Variation am Unterarm, die aus Nervenfaserverbindungen zwischen dem N. medianus und dem N. ulnaris besteht. Mit einer Prävalenz von 20% zählt die MGA neben der Cannieu-Riche-Anastomose und der Berrettini-Anastomose zu den am häufigsten beschriebenen anatomischen Normvarianten der oberen Extremität.1 Die kommunizierenden Nervenfasern entspringen in 58% der untersuchten Fälle aus dem R. interosseus anterior und in 18% direkt aus dem Hauptstamm des N. medianus, ca. 3 bis 10 cm distal des medialen Epikondylus des Humerus. Seltener wird eine Lokalisation proximal des Ellenbogens beschrieben.1
Zufallsbefund nach Motorradunfall
Ein Patientenfall aus dem Landesklinikum Wiener Neustadt veranschaulicht die Fallstricke der Diagnostik peripherer Nervenläsionen bei Präsenz einer MGA. Es handelt sich hierbei um einen 21-jährigen Patienten, der nach einem Motorradunfall mit Verdacht auf eine periphere Nervenläsion des rechten N. ulnaris und Kontaktverbrennungen vom Grad IIb–III der rechten oberen Extremität an die Plastische Chirurgie zugewiesen wurde. In der klinischen Untersuchung zeigte sich posttraumatisch ein Sensibilitätsdefizit des vierten und fünften Fingers der rechten Hand bei nahezu intakter Motorik. Eine Läsion des Plexus cervicobrachialis wurde zuvor mittels Magnetresonanztomografie ausgeschlossen.
Konservative Therapiemaßnahmen verbesserten die minimalen Einschränkungen der groben Kraft, brachten jedoch keinen Erfolg hinsichtlich der sensiblen Ausfälle. Da der Patient im weiteren Verlauf sowohl neuropathische Schmerzen mit positivem Hoffmann-Tinel-Zeichen am Sulcus nervi ulnaris als auch eine Narbenkontraktur aufgrund der Verbrennung im Bereich des rechten Ellenbogens entwickelte, wurden nach Stabilisierung der Wundverhältnisse zur weiteren Diagnostik eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) sowie eine Sonografie durchgeführt. Die NLG des N. ulnaris zeigte eine motorische und sensible Latenzverzögerung auf der geschädigten Seite im Vergleich zur kontralateralen Seite. Die Sonografie beschrieb eine langstreckige, hochgradige Nervenläsion mit einem Neurinoma in continuitatem des N. ulnaris rechts im Sulcus nervi ulnaris. Daher wurden eine operative Sanierung mittels Neurolyse sowie eine Narbenkorrektur indiziert. Intraoperativ zeigte sich der N. ulnaris entgegen dem sonografischen Befund vollständig durchtrennt mit einem blind endenden proximalen und distalen Ende im Bereich des medialen Epikondylus.
Abb. 1: Intraoperative Darstellung der N.-ulnaris-Läsion rechts mit Neurom
Aufgrund der Inkohärenz zwischen den prä- und intraoperativen Befunden wurde nach der Neurolyse zunächst nur die Narbenkorrektur mittels Spalthauttransplantation durchgeführt. Unmittelbar postoperativ präsentierte sich der Patient ohne neuropathische Schmerzen mit unverändert intakter Motorik. Mit gezielter Fragestellung nach dem Vorhandensein einer Nervenanastomose wurde die Sonografie wiederholt. Schließlich konnte der klinische Verdacht auf eine MGA rechts sonografisch bestätigt werden. Letztlich wurde eine Nervenrekonstruktion mit einem N.-suralis-Interponat durchgeführt, in der Hoffnung, die sensiblen Ausfälle zu verbessern und eine Neurombildung zu verhindern. Postoperativ wurde die NLG-Messung ebenfalls wiederholt, wobei der N. ulnaris nun an der Stelle des N. medianus abgeleitet wurde und somit die MGA auch elektrophysiologisch bestätigt werden konnte.
Literatur:
1 Roy J et al.: Median and ulnar nerve anastomoses in the upper limb: A meta-analysis. Muscle Nerve 2016; 54(1): 36-47
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