Neue Booster für die periphere Nervenregeneration?
Autor:innen:
Dr. Anton Borger
Univ.-Prof. Dr. Christine Radtke, MBA, FEBOPRAS
Univ.-Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie
Allgemeines Krankenhaus Wien/Medizinische Universität Wien
E-Mail: anton.borger@meduniwien.ac.at
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Die Versorgung von Nervenverletzungen ist weiterhin äußerst herausfordernd. Gerade bei kritischen Nervenverletzungen ist das funktionelle Outcome nicht immer zufriedenstellend, sodass hier die chirurgische Versorgung an ihre Grenzen stößt. Wir stellen zwei Ansätze vor, welche die Nervenregeneration fördern und dadurch zukünftig eine Rolle spielen könnten.
Keypoints
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Kritische Nervenverletzungen gehen mit einer schlechten Prognose einher – trotz optimaler chirurgischer Versorgung.
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miRNAs konnten erfolgreich in Tiermodellen therapeutisch eingesetzt werden (z.B. miR-21, miR-221/222 u.a.) und stellen so eine Möglichkeit zur Förderung der Neuroregeneration dar.
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Extrazelluläre Vesikel bieten die Möglichkeit für einen zellfreien Therapieansatz in Conduits, Nervenallografts oder direkt im Verletzungsareal.
Über alle Nervenverletzungen mit der Notwendigkeit für ein Interponat hinweg liegt das Outcome je nach Lokalisation und Autor bei 24–90% für das Wiedererlangen von S3 und 14–86% von M3. Setzt man strengere Kriterien für das Erreichen einer zufriedenstellenden Sensibilität von S3+ und einer motorischen Funktion von M4 an, sinkt die Erfolgsrate gar auf 40–50% für die größeren Nerven.1 Dabei stellt bei kritischen Nervenverletzungen, z.B. langstreckigen oder proximalen Defekten, die Regenerationszeit eine kritische Komponente dar, welche die Prognose nach solchen Verletzungen massiv beeinflusst. Während die sensible Funktion auch über einen längeren Zeitraum erfolgreich wiederhergestellt werden kann, stellt die Dauer bis zur Reinnervation in Bezug auf die motorische Funktion den limitierenden Faktor dar. Ab ca. 1 Jahr nach Deinnervation atrophiert der Muskel unwiederbringlich fettig und narbig. Weitere limitierende Faktoren entstehen aus einem Wachstumsarrest der einwachsenden Schwannzellen in langen Interponaten. Allerdings existieren bis zum heutigen Zeitpunkt keine medikamentösen und therapeutischen Möglichkeiten für die Stimulation der Nervenregeneration. Aus diesem Grund erfährt dieses Feld seit Jahren ein hohes Interesse der Forschungscommunity mit der stetigen Suche nach Möglichkeiten, die Proliferation und Migration von Schwannzellen, Axonen, Endothelzellen, Fibroblasten und weiteren Bestandteilen eines gesunden Nerven zu steigern. Schwannzellen ändern in Reaktion auf eine Nervenverletzung ihre Funktionen, indem sie von einem adulten Phänotyp in den „repair phenotype“ transdifferenzieren. Diese Reaktion als Teil unseres angeborenen Reparaturmechanismus ergibt Sinn, wenn man bedenkt, vor welchen Herausforderungen die Schwannzellen nach einer Nervenverletzung stehen. Die Schwannzellen stoppen dabei die Produktion des Myelins und das Aufrechterhalten der Hämostase und gehen in einen proliferativen und migrativen Typus über. Das zerstörte und zerfallene Axon sowie die Umgebungsschicht werden weggeräumt und verdaut und die leeren Endoneuralkanäle für die frisch auswachsenden Axone nach einer Wallerschen Degeneration vorbereitet. Dabei stellt die hohe Proliferation und Migration einen entscheidenden Faktor für die Regeneration dar, da dadurch nicht nur schneller die Debris aufgeräumt wird, sondern auch die Schwannzellen besser und schneller in das zerstörte Areal einwandern und hier die Büngnerschen Bänder für die auswachsenden Axone bilden.
Die Rolle der microRNAs in der Nervendegeneration und -regeneration
Die Rolle von Wachstumsfaktoren und Genmodulatoren wie NGF, BDNF, EGR2 und NOTCH1 war schon lange bekannt.2 Nun kam aber ein weiterer Player auf das Feld – die microRNAs (miRNAs). Die miRNAs sind physiologischerweise in jedem Organismus vorhanden und regulieren die Genexpression durch die Degradation von Proteinen und mRNA. Dadurch können sie auch den zuvor erwähnten Wachstumsfaktoren und Genmodulatoren vorgeschaltet sein bzw. diese regulieren. Dadurch kontrollieren sie alle Prozesse im Körper und durch eine Hoch- oder Herunterregulation wird das Verhalten von Zellen verändert, z.B. die Proliferation oder Migration. Rezente Arbeiten konnten microRNAs identifizieren, deren Expression sich nach einer Nervenverletzung verändert und dadurch spezifisch die Regeneration beeinflusst.3 So wird die Produktion der Myelinisierung in Schwannzellen durch ein Hinunterregulieren von miRNAs der let-7-Familie gestoppt. Weiters werden die miRNAs miR-221, miR-222 und miR-21 hinaufreguliert, woraufhin die proliferationsunterdrückenden Proteine PTEN, LASS2, TIMP3 und SPRY2 degradiert werden.4,5 Auf der anderen Seite exprimieren die Schwannzellen weniger miR-1, woraufhin mehr BDNF, ein neurotropher Wachstumsfaktor, vorhanden ist.6 Insgesamt wurden bis zu über 200 solcher miRNAs identifiziert, welche die Schwannzellen während einer Nervenverletzung regulieren. Dabei ist spannend zu sehen, dass nicht nur diese mehr bzw. weniger exprimiert sind, um die gewünschten Effekte zu erreichen, sondern auch die Rückkehr von einigen dieser miRNAs nach 14 bis 30 Tagen zu dem physiologischen Zustand erfolgt.3,7 Und das in einerZeitspanne, bei der normalerweise die akute Phase der Verletzung vorbei ist und die Schwannzellen sich zurück in ihren adulten Typ differenzieren.
Das Wissen über die Expression dieser RNAs nach einer Nervenverletzung bringt nicht nur ein tieferes Verständnis in Bezug auf Nervenverletzungen, sondern liefert auch Möglichkeiten, diese therapeutisch einzusetzen. In In-vivo- und In-vitro-Tierversuchen kann durch ein Hinzufügen dieser miRNAs eine Erhöhung der Proliferation und Migration von Schwannzellen beobachtet werden und so eine verbesserte Nervenregeneration erzielt werden.4 Für zukünftige Ansätze bieten sich hier Chancen, vor Ort durch das Hinzufügen von proregenerativen miRNAs die Nervenregeneration spezifisch zu verbessern. Allerdings sollte man auch die Umkehreffekte bedenken, wenn man in die Genregulation von Zellen eingreift. So ist miR-21, welches die Proliferation durch den Abbau von den Tumorsuppressorproteinen SPRY3, PTEN und TIMP3 erhöht, auch in Schwannomen und anderen Tumoren erhöht. Weiterhin fehlen Daten aus klinischen Experimenten oder größer angelegten präklinischen Studien, sodass dieses Forschungsfeld erst in Grundzügen besteht.
Der Einsatz von extrazellulären Vesikeln in der Nervenregeneration
Eine andere Quelle für wachstumsfördernde Moleküle stellen seit jeher omni-, pluri- oder multipotente Zellen dar. So konnten in den mesenchymalen Stammzellen (MSCs), aber auch den multipotenten „adipose-derived stromal cells“ (AdSCs), neuroregenerative Wachstumsfaktoren, mRNAs, DNA, aber auch die ebenvorgestellten miRNAs nachgewiesen werden. Die Transplantation von dieser proliferativen Zellklasse führte zu einer verbesserten Regeneration in verschiedenen tierischen Verletzungsmodellen. Allerdings bestehen auch Bedenken, da diese Zellen eine Gefahr von Mutagenität, Immunreaktion bei Allotransplantation, Spontandifferentiation oder Nichtanheilen haben. Aus diesem Grund wurden zellfreie Ansätze mit dem Sekretom dieser Zellen untersucht. Dieses enthielt zwar auch die regenerativen Moleküle, allerdings war deren Effekt nur schwach ausgeprägt und inferior zu den Zellen selbst. Die Entdeckung von extrazellulären Vesikeln (EVs, auch Exosomen) brachte hierbei die Wendung. EVs werden von allen Zellen freigesetzt, sind im Schnitt 50–150nm groß und dienen dem Austausch von Proteinen, mRNAs, miRNAs und Wachstumsfaktoren als Teil der interzellulären Kommunikation.8 Gerade Zellen von den Stammzellen, aber auch AdSCs, enthalten dabei, entsprechend ihren Elternzellen, ein ähnliches Profil an proregenerativen Substanzen. Für die AdSCs konnte die proliferationsfördernde miR-21 sowohl in den Zellen als auch in den EVs nachgewiesen werden.9 Das Hinzufügen von diesen EVs zu Schwannzellen führte zu einer erhöhten Proliferation.10 In Tiermodellen mit Nervenverletzungen resultierte das Einbringen von EVs in die Verletzung, aber auch in Interponate, ähnlich zu den Resultaten aus den Zellexperimenten, in einer erhöhten Regeneration der Nerven und zu verbesserten funktionalen Ergebnissen der Tiere.11
Es besteht im Gegensatz zu den Zellen keine Gefahr der spontanen Differenzierung, Mutation, Migration oder der Bildung von Teratomen oder Tumoren. Die Vesikel können im Labor auf verschiedenen Materialien wie z.B. Natriumchlorid, Gelen, Conduits, Allografts aufgebracht werden und nach der Fabrikation als fertiges Produkt in einen zu rekonstruierenden Nerv eingebracht werden. Durch die Gewinnung von AdSCs durch Liposuktion von Patienten besteht hier die Möglichkeit einer autologen Behandlung. Da EVs derzeit als nicht immunogen gelten, wäre auch eine allogene Transplantation möglich. Ähnlich den miRNAs sind die EVs in der präklinischen Phase und klinische Daten fehlend. Auch sind die EVs und die miRNAs derzeit auf den topischen Einsatz beschränkt, da die systemische Gabe derzeit nur wenig erforscht ist.
Literatur:
1 Safa B et al.: Peripheral nerve repair throughout the body with processed nerve allografts: results from a large multicenter study. Microsurgery 2020; 40(5): 527-37 2 Arthur-Farraj PJ et al.: Changes in the coding and non-coding transcriptome and DNA methylome that define the Schwann cell repair phenotype after nerve injury. Cell Rep 2017; 20(11): 2719-34 3 Borger A et al.: How miRNAs regulate Schwann cells during peripheral nerve regeneration—a systemic review. Int J Mol Sci 2022; 23(7): 3440 4 Yu B et al.: miR-221 and miR-222 promote Schwann cell proliferation and migration by targeting LASS2 after sciatic nerve injury. J Cell Sci 2012; 125(Pt 11): 2675-83 5 Montalban E et al.: MiR-21 is an Ngf-modulated microRNA that supports Ngf signaling and regulates neuronal degeneration in PC12 cells. Neuromolecular Med 2014; 16(2): 415-30 6 Liu YP et al.: miR-1b overexpression suppressed proliferation and migration of RSC96 and increased cell apoptosis. Neurosci Lett 2018; 687: 137-45 7 Sullivan TB et al.: Spatiotemporal microRNA profile in peripheral nerve regeneration: miR-138 targets vimentin and inhibits Schwann cell migration and proliferation. Neural Regen Res 2018; 13(7): 1253-62 8 van Niel G, D’Angelo G et al.: Shedding light on the cell biology of extracellular vesicles. Nat Rev Mol Cell Biol 2018; 19(4): 213-28 9 Baglio SR et al.: Human bone marrow- and adipose-mesenchymal stem cells secrete exosomes enriched in distinctive miRNA and tRNA species. Stem Cell Res Ther 2015; 6(1): 127 10 Haertinger M et al.: Adipose stem cell-derived extracellular vesicles induce proliferation of Schwann cells via internalization. Cells 2020; 9(1): 163 11 Chen J et al.: Exosomes from human adipose-derived stem cells promote sciatic nerve regeneration via optimizing Schwann cell function. J Cell Physiol 2019; 234(12): 23097-110
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