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Risikofaktoren und präventive Maßnahmen

Gehirngesundheit im Alter

Der Begriff Gehirngesundheit ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Wie kann Gehirngesundheit beeinflusst und gefördert werden? Nicht nur etablierte Risikofaktoren, wie Arteriosklerose und Hyperlipidämie, sondern auch das Sozialleben, das Klima und die körperliche Gebrechlichkeit spielen eine bedeutende Rolle.

Keypoints

  • Im Mittelpunkt der Definition von Gehirngesundheit steht das Aufrechterhalten einer optimalen Gehirnstruktur und -funktion.

  • Der Begriff Gehirngesundheit ist nicht allgemein anerkannt definiert, der Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit ist eine zentrale Domäne.

  • Die Determinanten der Gehirngesundheit ändern sich mit den Lebensphasen.

  • Etablierten Arterioskleroserisikofaktoren kommt unter dem Aspekt der Gehirngesundheit eine erweiterte Bedeutung zu.

  • Lebensstil und soziale Interaktion sind weitere zentrale Determinanten.

Was bedeutet „brain health“?

Nach Definition der WHO wird Gehirngesundheit („brain health“) als jener Zustand in allen kognitiven, sensorischen, sozial-emotionalen, verhaltensbezogenen und motorischen Bereichen bezeichnet, der es einer Person ermöglicht, ihr Potenzial im Laufe des Lebens voll auszuschöpfen, unabhängig davon, ob Störungen vorliegen oder nicht. Daneben existieren Vorschläge zur Definition dieses Begriffs von weiteren Organisationen: Centers for Disease Control and Prevention, Alzheimer’s Association, American Academy of Neurology und World Federation of Neurology, um einige relevante zu nennen.

Die Definitionen sind unterschiedlich weit gefasst und konzentrieren sich häufig auf die Kognition, können aber auch umfassendere Komponenten, wie mentale, zerebrale und soziale Aspekte, abdecken. Der Begriff Alter wird von der WHO als breites Spektrum definiert: Als junge Alte werden 60–74-Jährige bezeichnet, als Betagte und Hochbetagte 75–89-Jährige, als Höchstbetagte 90–99-Jährige und als Langlebige ≥100-Jährige.

Veränderungen im Alter

Im Laufe des Lebens verändern sich die physiologischen Funktionen aller Organsysteme, auch des Gehirns: Neuropathologische Untersuchungen zeigen, dass es auch bei kognitiv intakten alten Menschen zu Veränderungen kommt, die wir von Krankheiten kennen: Neben Zeichen von Inflammation, Degeneration und Demyelinisierung finden sich Axonschäden, verminderte Neurogenese, erhöhte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke und reduzierte Neurotransmission.

Daneben gibt es eine Reihe von neurologischen Erkrankungen mit klarem Altersbezug: Schlaganfall, Demenz, Epilepsie und Schädel-Hirn-Trauma treten gehäuft im Alter 80+ auf. Kognitive Funktionen sind zentrale Domänen der Gehirngesundheit; der Prävention von Demenzerkrankungen kommt daher besondere Bedeutung zu. Zu diesem Thema bietet der Lancet Commission Report 2020 eine positive Perspektive: Durch konsequente Kontrolle von Risikofaktoren könnten bis zu 40% aller Demenzerkrankungen verhindert werden (Abb. 1).

Abb. 1: Risikofaktoren für kognitiven Abbau über die Lebensphasen (adaptiert nach Lancet Commission Report 2020)

Die kognitive Reserve

Eine wesentliche Rolle spielt dabei die kognitive Reserve. Darunter versteht man die Fähigkeit des Gehirns, Schäden zu tolerieren, die durch Alterung, Alzheimererkrankung oder andere Ursachen von Demenz entstehen. Je höher die kognitive Reserve, desto geringer ist das Risiko, dass eine Person bei Vorliegen einer neuropathologischen Schädigung klinische Symptome einer Demenz entwickelt. Die kognitive Reserve wird durch geistig stimulierende und soziale Aktivitäten erhöht, welche die Neuroplastizität fördern und damit kognitive Funktionen verbessern. Diese Aktivitäten müssen allerdings lebenslang aufrechterhalten werden, um eine kognitive Reserve für die gesamte Lebensspanne aufzubauen. In jungen Jahren trägt eine qualitätsvolle Ausbildung zu einer hohen kognitiven Reserve bei.

Risikofaktor Arteriosklerose

Traditionellen Arterioskleroserisikofaktoren kommt in Hinblick auf Gehirnerkrankungen eine hohe Bedeutung zu. Zahlreiche Leitlinien ermöglichen eine an Zielwerten orientierte Therapie. An erster Stelle unter diesen Risikofaktoren ist die arterielle Hypertonie zu nennen. Hoher Blutdruck trägt durch unterschiedliche Faktoren zur Schädigung des Gehirns bei: Die Small-Vessel-Disease führt zu zerebraler Hypoperfusion, arterioarterielle Embolien verursachen Hirninfarkte, die eine kognitive Beeinträchtigung verstärken können. Ein Hypertonus fördert sowohl Amyloid-β-Deposition als auch Hirnatrophie, auch verstärkte Hyperphosphorylierung von Tau-Protein und Inklusion von TDP-43 wurden beschrieben. Im Verlauf verursacht die Hypertonie auch strukturelle Veränderungen des Herzens im Sinne eines Remodelings, was ebenfalls zu einer Verschlechterung kognitiver Funktionen beitragen kann (s.u.).

Für das mittlere Lebensalter existiert moderate Evidenz, dass ein systolischer Blutdruck von >130mmHg das relative Risiko für eine kognitive Leistungsminderung um etwa 20% erhöht. Im höheren Alter schwächt sich dieser Zusammenhang ab, aber das Risiko für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen zeigt dennoch eine lineare Beziehung zum systolischen Blutdruck. Für den diastolischen Blutdruck ist der Zusammenhang ähnlich, allerdings findet sich eine Ausnahme für das Alzheimerrisiko: Ein niedriger diastolischer Druck scheint ein erhöhtes Risiko darzustellen, ebenso wie die orthostatische Hypotension oder starke Blutdruckschwankungen.

Der Zusammenhang zwischen Herzerkrankungen und kognitiver Funktion wurde bereits erwähnt: Die chronische zerebrale Hypoperfusion (CCH) führt durch oxidativen Stress, Veränderungen der Blut-Hirn-Schranke und Immunantwort sowie lokal inflammatorische Veränderungen zu vermehrter Amyloid-β-Deposition, Schädigung von Neuronen und Synapsen sowie reduzierter Neurogenese. Davon unabhängig bedingen neurohumorale Mechanismen eine Aktivierung der Sympathikusachse sowie des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems mit ähnlichen Folgen wie für die CCH beschrieben. Unter den Herzerkrankungen ist das Vorhofflimmern besonders hervorzuheben, welches eine relative Erhöhung des Demenzrisikos um ca. 30% bedingt. Betont werden muss, dass dieses Risiko durch orale Antikoagulation um 60% gesenkt werden kann. Vorhofflimmern ist mit einer Prävalenz von 1–2% der Bevölkerung eine häufige Erkrankung; mit dem Alter steigt die Prävalenz auf bis zu 15% bei den 80-Jährigen.

Diabetes und Hyperlipidämie

Typ-2-Diabetes führt zu einer relativen Erhöhung des Demenzrisikos um bis zu 60%. Insulinresistenz, Veränderungen der Blut-Hirn-Schranke, Amyloid-β-Deposition und hyperphosphoryliertes Tau werden als neuropathologische Substrate diskutiert. Eine konsequente Stoffwechselkontrolle ist daher auch unter dem Aspekt der Gehirngesundheit sinnvoll. In diesem Kontext ist das Vermeiden von Hypoglykämien hervorzuheben, die zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Demenz beitragen.

Lange Zeit war der Zusammenhang zwischen Hyperlipidämie, Therapie mit Statinen und Demenz unklar. Rezente Studien legen nahe, dass es unter Statintherapie eher zu einer Reduktion des Risikos für Alzheimer- und Demenzerkrankungen kommt, auch die Progression einer Demenz wird unter Statinen – wenn auch nur minimal – verlangsamt. Lebensstilmodifikationen bieten ein breites Spektrum, um zum Erhalt der Gehirngesundheit beizutragen. Rauchen ist mit einem erhöhten, dosisabhängigen Demenzrisiko verbunden und sollte daher in jedem Alter beendet werden. Für Alkohol besteht ein Zusammenhang mit höherem Konsum, geringe Mengen (1 Drink/Tag) scheinen zumindest nicht schädlich zu sein.

Bewegung und Ernährung

Regelmäßige körperliche Aktivität senkt das relative Risiko für das Auftreten einer Demenz oder einer Alzheimererkrankung um bis zu 28%. Aktivität fördert synaptische Analoga des Lernens (Kurzzeit- und Langzeitpotenzierung), synaptische Verschaltungen sowie die Verfügbarkeit synaptischer Proteine. Auch eine vermehrte Ausschüttung von Wachstumsfaktoren, reduzierte Amyloid-β-Spiegel und eine Stimulation der Neurogenese wurden beschrieben.

Der Einfluss verschiedener Diätformen auf das Demenzrisiko ist mittlerweile in retro- und prospektiven Studien untersucht worden. Für die mediterrane Diät, DASH-Diät und MIND-Diät wurden positive Effekte in der Größenordnung einer relativen Risikoreduktion von 10–15% nachgewiesen. Eine rezente Beobachtungsstudie zeigt, dass der tägliche Konsum von mindestens 7 Gramm Olivenöl (etwa ein halber Esslöffel) mit einem um 28% geringeren Risiko eines demenzbedingten Todes assoziiert ist.

Weitere Risikofaktoren

Unter dem Aspekt der steigenden Zahl von Single-Haushalten alter Menschen stellt die soziale Isolation eine zunehmende Herausforderung dar: Soziale Isolation bedingt eine Erhöhung des relativen Demenzrisikos um ca. 25%.

Eine wesentliche Determinante für sozialen Rückzug sind Hörstörungen, eine Hörgeräteversorgung stellt eine präventive Interventionsmöglichkeit dar. Schwerhörigkeit ist bei über 75-Jährigen mit rund 35% eine häufige Funktionsstörung. In diesem Zusammenhang ist auch die Depression zu erwähnen, die ebenfalls zu einem erhöhten Risiko für kognitiven Abbau beiträgt. Ob eine antidepressive Behandlung zu einer Reduktion des Demenzrisikos führt, kann aktuell nicht eindeutig beantwortet werden.

In Hinblick auf den Klimawandel ist bemerkenswert, dass auch Luftverschmutzung das relative Risiko für kognitiven Abbau um 10–15% erhöht. Für all diese Lebensstilfaktoren wurden Veränderungen an kortikalen und subkortikalen Strukturen nachgewiesen, auch Amyloid-β-Ablagerung und Aktivierung der Stressachse spielen eine Rolle. Rezente Untersuchungen betonen zudem die Notwendigkeit eines ausreichenden Nachtschlafs, hier ist die Rolle des glymphatischen Systems hervorzuheben, das den nächtlichen Abtransport von Stoffwechselendprodukten ermöglicht.

Mit dem Alter steigt die Zahl vulnerabler Menschen, mit 80 Jahren sind etwa 20% von Frailty (Gebrechlichkeitssyndrom) betroffen. Hier besteht ein klarer Zusammenhang mit der Manifestation kognitiver Defizite: Bei gleicher neuropathologischer Last stellt das Ausmaß von Frailty einen Manifestationsfaktor für den Phänotyp Demenz dar. Frailty verschlechtert zudem die Prognose nach Schlaganfall und trägt zu einem erhöhten Sturzrisiko bei. Letzteres ist in Hinblick auf die im Alter häufigen Schädel-Hirn-Traumen bedeutsam. Zur Evaluation des Sturzrisikos ist ein geriatrisches Assessment sinnvoll, das eine gerichtete Intervention ermöglicht. Frailty ist besonders in frühen Stadien einer therapeutischen Intervention mittels qualitativ hochwertiger, eiweißreicher Ernährung und körperlichem Training zugänglich.

Zusammengefasst beeinflussen zahlreiche Faktoren die Gehirngesundheit im Alter, wobei die Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren, das Optimieren von Komorbiditäten, hochwertige Ernährung sowie regelmäßige körperliche und soziale Aktivitäten präventive Ansatzpunkte darstellen.

beim Verfasser

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