Screening auf das hepatozelluläre Karzinom bei chronischer Lebererkrankung
Autorin:
Dr. med. Caroline Bastid
Service de gastro-entérologie et d’hépatologie
Hôpitaux Universitaires de Genève
E-Mail: caroline.bastid@hug.ch
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Das Screening auf das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ermöglicht eine Früherkennung bei Patient:innen mit Zirrhose oder bekannten Risikofaktoren im Zusammenhang mit einer chronischen Lebererkrankung. Die Modalitäten des Screenings können je nach den spezifischen Empfehlungen der verschiedenen Fachgesellschaften variieren. Sie umfassen in der Regel eine halbjährliche Abdomensonografie, die eventuell mit einer Bestimmung des Alpha-Fetoproteins (AFP) kombiniert werden kann.
Keypoints
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Das HCC stellt eine der grossen onkologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar und erfordert eine frühzeitige Erkennung und Behandlung, um die damit verbundene Morbidität und Mortalität zu senken.
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Es ist wichtig, Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines HCC zu identifizieren und sie in ein regelmässiges Screeningprogramm aufzunehmen.
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Dieses umfasst eine halbjährliche Abdomensonografie gemäss den europäischen Empfehlungen der EASL, die mit einer AFP-Bestimmung gemäss den Empfehlungen der AASLD kombiniert werden kann.
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Das HCC-Screening sollte bei Patient:innen mit chronischer Lebererkrankung und Risikofaktoren gemäss den etablierten Empfehlungen systematisch durchgeführt werden. Das Bestehen erheblicher Begleiterkrankungen oder eine kurze Lebenserwartung können jedoch gegen das Screening sprechen, wenn die Durchführung einer angemessenen Behandlung dadurch nicht möglich ist.
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Die Kontrolle der ätiologischen Faktoren der Lebererkrankung verhindert nicht immer das Auftreten eines HCC.
Das HCC ist die häufigste bösartige Neoplasie der Leber (9 von 10 Fällen). In über 90% der Fälle tritt es auf dem Boden einer fortgeschrittenen chronischen Lebererkrankung auf.1 Es ist die sechsthäufigste krebsbedingte Todesursache in der Schweiz und die dritthäufigste weltweit. Bei nachgewiesener Zirrhose wird die HCC-Inzidenz auf etwa 2–4% pro Jahr geschätzt.
Das Screening und die Behandlung des HCC stellen eine globale Herausforderung dar, da die geschätzte zukünftige Inzidenz im Jahr 2025 bei über einer Million neuer Fälle pro Jahr liegt.2 Gemäss den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll die Einführung eines organisierten Screenings die Sterblichkeit senken und eine frühzeitige Behandlung der Krankheit ermöglichen. Bei chronischer Lebererkrankung bietet es sich aufgrund der grossen Häufigkeit des HCC, insbesondere in den Industrieländern, der Identifizierung einer gut eingrenzbaren Risikopopulation, der Existenz eines Screeninginstruments in Form der Abdomensonografie und der Möglichkeit einer frühzeitigen kurativen Behandlung bei kleinen Tumoren an.
Die Epidemiologie der verschiedenen Ätiologien, die zum Auftreten eines HCC führen, ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Virale Ursachen wie das Hepatitis-B-Virus (HBV) und das Hepatitis-C-Virus (HCV) sind vorherrschend, vor allem in Asien und Afrika. Es gibt jedoch einen Trend zur Zunahme von Lebererkrankungen, die mit dem metabolischen Syndrom (MASLD, «metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease») und dem Alkoholkonsum in den Industrieländern, Europa und USA, zusammenhängen.2
Risikofaktoren für die Entstehung eines HCC sind das Bestehen einer Zirrhose beliebiger Ursache, eine HBV-Infektion, Alkoholkonsum und das Bestehen einer Lebererkrankung, die mit einer metabolischen Dysfunktion (MASLD) einhergeht.
Die 20213 erschienene Studie von Yeo et al. zeigte bei Patient:innen mit Zirrhose erhebliche Defizite bei der Überwachung auf Komplikationen auf, insbesondere beim Screening auf HCC. So wurden bei mehr als der Hälfte der 83000 Zirrhosepatient:innen, die von 2007 bis 2016 beobachtet wurden, während der gesamten Beobachtungsdauer keine bildgebenden Untersuchungen zur Suche nach einer Tumorläsion durchgeführt. Es ist daher von grösster Bedeutung, dass Kliniker:innen auf Komplikationen achten, z.B. das Auftreten eines HCC im Zusammenhang mit einer chronischen Lebererkrankung.
Es gibt Unterschiede in den Empfehlungen der internationalen Fachgesellschaften (Tab. 1). Die EASL (European Association for the Study of the Liver) hat die Empfehlungen für das HCC-Screening 2018 aktualisiert.1 Das Standard-Bildgebungsverfahren ist eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens auf neue knotige Leberläsionen, die alle sechs Monate durchgeführt werden sollte. Dies betrifft Zirrhosepatient:innen mit einem Child-Pugh-Score A oder B sowie Patient:innen mit einem Child-Pugh-Score C, bei denen eine Lebertransplantation geplant ist. Ebenfalls betroffen sind Patient:innen mit chronischer HBV-Infektion, die keine Zirrhose, aber einen oder mehrere Risikofaktoren aufweisen. Personen mit einer Fibrose des Grades F3 nach dem histologischen Metavir-Score sind ebenfalls betroffen, wenn Risikofaktoren vorliegen (siehe besondere Fälle).
Tab. 1: Empfehlungen der EASL (European Association for the Study of the Liver) und der AASLD (American Association for the Study of Liver Diseases) für das Screening auf das hepatozelluläre Karzinom1,4
Die Empfehlungen der AASLD (American Association for the Study of Liver Diseases) wurden 2023 aktualisiert.4 Darin wird empfohlen, alle sechs Monate eine Abdomensonografie und eine AFP-Bestimmung durchzuführen. Die MRT der Leber ist eine Alternative, wenn die Sonografie nicht aussagekräftig ist.
Die Zielpopulation besteht ebenfalls aus Zirrhosepatient:innen (Child-Pugh-Score A, B oder C, wenn eine Lebertransplantation geplant ist) sowie Patient:innen mit chronischer HBV-Infektion und bekannten Risikofaktoren. Ein Screening bei Patient:innen mit Fibrose des Grades F3 nach dem Metavir-Score und HCV-Infektion oder MASLD wird derzeit nicht empfohlen.
Besondere Fälle
Patient:innen mit chronischer Hepatitis B
Eine chronische Lebererkrankung bei Bestehen einer HBV-Infektion, selbst wenn keine Fibrose vorliegt, ist ein günstiger Nährboden für die Entwicklung eines HCC.5 Die identifizierten Faktoren, die das Auftreten eines HCC begünstigen und eine halbjährliche Überwachung erfordern, sind afrikanische oder asiatische Herkunft, höheres Alter, eine hohe Viruslast, der Nachweis des HBe-Antigens und eine HCC-Vorgeschichte innerhalb der Familie. Die Durchführung einer antiviralen Therapie scheint das Risiko der Entwicklung eines HCC nach fünf Jahren Therapie zu senken, doch das Risiko ist nach wie vor gegeben, wie Papatheodoridis et al. 2017 zeigten.6 Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, je nach Risikofaktoren weiterhin ein halbjährliches Screening bei den Patient:innen durchzuführen, auch wenn eine antivirale Therapie stattfindet.
Patient:innen mit chronischer Hepatitis C
Das Auftreten eines HCC bei Patient:innen mit chronischer Hepatitis C ist mit dem Bestehen einer fortgeschrittenen Fibrose oder einer Zirrhose assoziiert. Die Therapie zur HCV-Eradikation konnte dank wissenschaftlicher Fortschritte revolutioniert werden und führt nun in mehr als 95% der Fälle zum Erfolg.
Mehrere Arbeiten warnen dennoch vor einem weiterhin erhöhten Risiko für das Auftreten eines HCC. So ergab eine über zehn Jahre durchgeführte französische Kohortenstudie mit 174 Patient:innen mit fortgeschrittener Fibrose oder Zirrhose, die mit einer HCV-Eradikation behandelt wurden, dass 96% der beobachteten Leberkarzinome innert fünf Jahren nach HCV-Eradikation auftraten.7 Die HCV-Eradikation schützt nicht vor dem Auftreten eines HCC, sodass ein Screeningprogramm auch dann aufrechterhalten werden sollte, wenn der ätiologische Faktor behandelt wurde.
Patient:innen mit MASLD
Eine Arbeit von Paradis et al. aus dem Jahr 2009 ergab, dass mehr als die Hälfte der HCC, die sich im Zusammenhang mit MASLD entwickelten, bei Patient:innen ohne oder mit mässiger Fibrose (F1–F2) auftraten.8 Nach den Erkenntnissen der AASLD sollen 25–33% der HCC in nichtzirrhotischen Lebern unter entsprechenden Bedingungen entstehen.4 Als Risikofaktoren wurden eine schlechte Diabeteskontrolle, Übergewicht oder Adipositas, Alkoholkonsum sowie ein hohes Alter identifiziert. Angesichts dieser unterschiedlichen Daten sehen die europäischen Empfehlungen bei bestehenden Risikofaktoren ab dem Fibrosestadium F3 gemäss Metavir-Score ein Screening vor, auch wenn die Kostenwirksamkeit umstritten ist.
Die Modalitäten des Screenings
Die Abdomensonografie ist eine leicht zugängliche, nichtinvasive Untersuchung ohne Strahlenbelastung, die mit moderaten Kosten verbunden ist. Sie ist die Standarduntersuchung im Rahmen des HCC-Screenings. Einige Faktoren können jedoch Einfluss auf das Ergebnis haben. Eine 2018 veröffentlichte Metaanalyse von 32 Arbeiten schätzt die Sensitivität der Sonografie für das Screening auf HCC in allen Stadien auf 84% und für Läsionen in einem frühen Stadium auf nur 47%.9 Die Untersuchung des gesamten Leberparenchyms gestaltet sich in tiefen Schichten oder im Bereich des Leberdoms mitunter schwieriger. Eine zugrunde liegende Zirrhose mit knotigem Erscheinungsbild der Leber kann zu falsch positiven Ergebnissen führen und den positiv prädiktiven Wert herabsetzen. Die Merkmale der Patient:innen können die Untersuchung der Leber erschweren, z.B. bei Adipositas, Darmgasen (Nüchternheit nicht eingehalten), vorausgegangenen Eingriffen im Bereich der Leber oder anatomischen Besonderheiten. Die Durchführung der Sonografie ist abhängig von der untersuchenden Person, deren Expertise die Sensitivität der Untersuchung beeinflussen kann.10–12
Das Erkennen von Tumorläsionen kann durch den Einsatz von Schnittbildverfahren verbessert werden. Hier ist besonders die Magnetresonanztomografie (MRT) der Leber zu nennen, deren Sensitivität zwischen 77 und 100% liegt. Die der Computertomografie (CT) ist niedriger und liegt für alle Stadien zusammengenommen bei etwa 65%.13,14 Die Schnittbildgebung bietet also eine bessere Sensitivität, ihre Kosten sind jedoch aktuell zu hoch, um sie in einem Überwachungsprogramm einsetzen zu können. Zudem gibt es Probleme mit Blick auf die Zugänglichkeit, Kontrastmittelallergien, falsch positive Ergebnisse und die Strahlenbelastung, die bei einer Untersuchung, die alle sechs Monate wiederholt werden muss, zu berücksichtigen sind. Ihr Einsatz wird derzeit in Betracht gezogen, wenn die Abdomensonografie nicht aussagekräftig ist und wenn ein mittleres oder hohes Risiko besteht. Aktuell werden Studien durchgeführt, um Alternativen wie etwa schnelle MRT-Sequenzen zu untersuchen. Die Häufigkeit der Durchführung muss aufgrund der oben genannten einschränkenden Faktoren noch definiert werden. Ihr Nutzen im Rahmen eines solchen Screeningprogramms wird in Abhängigkeit von der Zugänglichkeit und den Kosten der Untersuchung bewertet werden.
Die AFP-Bestimmung ist ein nützliches, nur in den amerikanischen Leitlinien validiertes Instrument für das Screening auf HCC in Verbindung mit einer Abdomensonografie. Sie würde die Sensitivität um 6–8% verbessern.15 Falsch positive Ergebnisse bei aktiver Hepatitis, besonders bei viraler Hepatitis, aber auch falsch negative Ergebnisse bei frühem HCC oder HCC, das AFP nicht exprimiert, treten in 10–20% der Fälle auf.16 Das Intervall der Kontrolluntersuchungen von sechs Monaten basiert auf der Geschwindigkeit des Tumorwachstums bis zu seiner Nachweisgrenze sowie der HCC-Inzidenz in der Zielpopulation.17,18
Bei der Entdeckung einer verdächtigen Läsion ist je nach Grösse und zirrhotischem oder nichtzirrhotischem Hintergrund eine Schnittbildgebung (MRT der Leber oder 4-Phasen-CT des Abdomens) erforderlich, um sie besser zu charakterisieren (Abb. 1). Die Durchführung einer tumoralen und nichttumoralen Leberbiopsie sollte im Rahmen einer multidisziplinären Besprechung in einem Expertenzentrum, wie dem Centre des affections hépatobiliaires et pancréatiques des Universitätsspitals Genf, diskutiert werden. Zur Durchführung und Überwachung der Behandlung kann der/die Patient:in anschliessend an ein spezialisiertes onkohepatologisches Team verwiesen werden.
Abb. 1: Empfehlungen für das Screening auf das hepatozelluläre Karzinom, adaptiert nach den Empfehlungen der EASL1,19
Die Behandlungsstrategie basiert auf den Empfehlungen der Klinik von Barcelona und richtet sich nach dem Allgemeinzustand des Patienten/der Patientin, der Leberzellfunktion und den Merkmalen des Tumors.
Literatur:
1 EASL Clinical Practice Guidelines: Management of hepatocellular carcinoma. J Hepatol 2018; 69: 182-236 2 Llovet JM et al.: Nat Rev Dis Primer 2021; 7: 6 3 Yeo YH et al.: J Hepatol 2021; 75: 856-64 4 Singal AG et al.: Hepatol 2023; 78: 1922-65 5 Chen CJ et al.: JAMA 2006; 295: 65-73 6 Papatheodoridis GV et al.: Hepatology 2017; 66: 1444-53 7 Pascale A: J Hepatol 2023; 78: S489-9 8 Paradis V et al.: Hepatol 2009; 49: 851-9 9 Tzartzeva K et al.: Gastroenterol 2018; 154: 1706-18 10 Foerster F, Galle PR: Liver Transpl 2018; 24: 1167-8 11 Aubry JF et al.: J Ther Ultrasound 2013; 1: 13 12 Samoylova ML et al.: Liver Transpl 2018; 24: 1171-7 13 Yu NC et al.: Clin Gastroenterol Hepatol 2011; 9: 161-7 14 Burrel M et al.: Hepatol 2003; 38: 1034-42 15 Biselli M et al.: Br J Cancer 2015; 112: 69-76 16 Di Bisceglie AM et al.: J Hepatol 2005; 43: 434-41 17 Cucchetti A et al.: J Hepatol 2014; 61: 333-41 18 Trevisani F et al.: Am J Gastroenterol 2002; 97: 734-44 19 Goossens N et al.: Swiss Med Wkly 2020; 150: 20296