© Lumos sp - stock.adobe.com

Patient:innen korrekt einstufen und so effektiver beraten

Patientenedukation bei Acne inversa

Die Patientenedukation trägt einen wesentlichen Teil zu einem erfolgreichen Behandlungskonzept bei Acne inversa bei. Für Behandelnde kann es dabei entscheidend sein, sich zu verdeutlichen, welche Art von Patient:in sie vor sich haben.

Acne inversa (Ai), auch bekannt als Hidradenitis suppurativa (HS), ist eine entzündliche Erkrankung, die sich sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Personen häufig bereits im jungen Alter manifestiert. Dabei scheinen jedoch weibliche Personen häufiger betroffen zu sein.1

Um die Krankheitsaktivität objektivieren zu können, wird der Schweregrad nach Hurley und dem «International Hidradenitis suppurativa Severity Score System» (IHS4) klassifiziert.2,3 Zusätzlich wird der Schmerzgrad mithilfe der «Numeric Rating Scale» (NRS) erfasst.4 Für die Einschätzung und Vergleichbarkeit der Krankheitsbelastung werden der «Dermatology Life Quality Index» (DLQI) und die «Hospital Anxiety and Depression Scale» (HADS) herangezogen.

Die Acne inversa ist noch immer ein Krankheitsbild, welches von starker Stigmatisierung geprägt ist. Sie wird regelhaft aufgrund der hauptsächlich im Bereich der Achseln und Leisten sowie der Anogenital- und Perianalregion auftretenden Symptome als einzeln auftretende Abszesse bei «Veranlagung» oder aufgrund mangelnder Körperhygiene falsch diagnostiziert.

Dadurch verlängert sich die Zeit bis zur korrekten Diagnose auf durchschnittlich sieben bis neun Jahre.5 Doch auch mit der richtigen Diagnose ist eine gute Therapie noch immer nicht die Norm.

Die deutsche bundesweite Querschnittsanalyse des Innovationsfonds-Projekts EsmAiL hat gezeigt, dass lediglich ein Fünftel der Betroffenen mit ihrer Versorgung zufrieden ist; nur 1,9% gaben an, sehr zufrieden zu sein. Demgegenüber waren fast 80% mit der Versorgung ihrer Ai eher unzufrieden oder sehr unzufrieden (47,8% eher unzufrieden, 30,8% sehr unzufrieden).1

Zudem befinden sich aufgrund der langen Zeit bis zur korrekten Diagnosestellung viele Patient:innen in einem bereits fortgeschrittenen Stadium (Hurley II und III).2 Einerseits bedeutet das für die Betroffenen selbst eine hohe Belastung durch starke Einschränkungen im Alltag und bei der Arbeitsfähigkeit (durchschnittlich 14,3 Arbeitsunfähigkeitstage jährlich, vor Studienbeginn).1 Andererseits bedeutet es auch oft aufwendigere Therapien und eine höhere Wahrscheinlichkeit für stationäre Krankenhausaufenthalte.

Häufig betrifft dasPatient:innen, die über viele Jahre mit ihren Beschwerden bei verschiedenen Ärzt:innen waren und diverse Therapieversuche erhalten haben. In der Regel handelt es sich dabei um topische oder systemische Antibiotika, multiple Exzisionen, Deroofing-Versuche oder auch grössere chirurgische Eingriffe mit längeren Krankheitsphasen und verzögerter Wundheilung. Aber auch modernere pharmazeutische Ansätze mit Biologika kommen regelmässig zum Einsatz. Dank der breit verfügbaren Medien gibt es ein zunehmend gut informiertes Patient:innenkollektiv, welches sich schon frühzeitig konservativen Therapien wie z.B. der LAight-Therapie® (Kombinationstherapie aus intensiv gepulstem Licht und Radiofrequenz) unterziehtoder Ernährungsanpassungen vornimmt. Dennoch sind die meisten Ai-Betroffenen durch die hohen Alltagsanforderungen, ständige Schmerzen, Angst, Depressionen und das verlorene Vertrauen in das Gesundheitssystem überfordert.

In vielen Fällen sind mehrere Risikofaktoren vorhanden, die das Krankheitsgeschehen begünstigen. Dazu zählen neben relevanten Nebendiagnosen vor allem Übergewicht, Nikotinabusus und Stress.1,6,7

Bei der Erstvorstellung einer Ai-Patientin oder eines Ai-Patienten sollte zu Beginn der TherapieVertrauen durch respektvolles, nichtverurteilendes Verhalten aufgebaut werden.

Nach der ganzheitlichen Betrachtung aller bestehenden Risikofaktoren ist eine Priorisierung in Absprache mit den Betroffenen wichtig. Die Berücksichtigung von negativen Effekten in Bezug auf nachrangige Risikofaktoren ist dabei besonders relevant für eine anhaltende Adhärenz der Patient:innen. Zum Beispiel zeigt sich eine Verschlechterung des Ai-Zustandes bei Gewichtszunahme, häufig als Folge einer Nikotinkarenz, welche etwaige positive Effekte aufgrund des fehlenden Nikotins überwiegen kann.8

Übergewicht bedingt vermehrte Hautfaltenbildung und damit mehr Reibung, was wiederum neue Läsionen auslöst. Gleichzeitig fördert die hohe Stoffwechselaktivität des Viszeralfetts Entzündungen und senkt die Effektivität der Primärtherapien.

Allerdings ist langfristig immer eine Nikotinentwöhnung anzustreben, da erwiesenermassen Nikotin nicht nur das Immunsystem schwächt und die Nähr- und Sauerstoffversorgung der Haut vermindert, sondern auch zum Bruch der Haarfollikel und übermässiger Bildung von Hautschuppen führt.9 Zusammen mit dem vermehrten Bakterienwachstum auf der Haut begünstigt dies ebenfalls eine anhaltende Krankheitsaktivität und ein Fortschreiten der Läsionenund birgt die Gefahr einer Superinfektion.10

Eitrige, übelriechende Läsionen und stetig nässende Fisteln verursachen, unabhängig von Geschlecht und Alter, grosse Verunsicherung und Scham und sind eine tägliche Herausforderung. Diese Scham, kombiniert mit Schmerzen, aber auch Unwissenheit oder Hilflosigkeit,wirktoft zusammen mit den allgemeinen Stressoren aus Umwelt und Alltag und führt, wenn esan Bewältigungsmechanismen mangelt, zuchronischer Überforderung.

Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass der körperliche Zustand eng mit dem geistigen Zustand verknüpft ist. Dies bewirkt, dass Stress nicht nur eine körperliche Reaktion, in Form von erhöhtem Katecholamin- und Blutzuckerspiegel, hervorruft, sondern dass regelmässiger bzw. anhaltender Stress auch psychische Auswirkungen hat. Unter Stress sind vorhandene Läsionen und Schmerzen ausgeprägter und die Belastbarkeit und Resilienz sinken.

Dabei ist nachrangig, ob die Betroffenen demHurley-Stadium I, II oder III zugeordnet werden können.2 Einzelne entzündete Knoten eines Hurley I können auf derNumeric Rating Scale trotzdem bei 8 oder 9 wahrgenommen werden und kurzzeitig die Betroffenen immobil und arbeitsunfähig machensowie maximale Einschränkungen der Sexualität und soziale Isolation zur Folge haben.2,4

Abb. 1: Deutlich erkennbarer Zusammenhang zwischen Krankheitsaktivität bzw. Krankheitsschwere und Angst,Depressionen, Arbeitsunfähigkeit sowie beeinträchtigter Lebensqualität (modifiziert nach Schultheis M et al.)1, 8

In der Auswahl geeigneter Angebote zur Reduktion der Risikofaktoren unterstützen die Behandelnden bei der Entscheidungsfindung und der Zielvereinbarung. Es bietet sich hierbei die SMART-Methode (spezifisch, messbar, akzeptiert/attraktiv, realistisch, terminiert) an, die Massnahmen sollten dokumentiert und hinsichtlich der Wirksamkeit überprüft werden. Es sollte ein realistisches Zeitfenster, beispielsweise ein Vierteljahr, vorgegeben werden, um die Lebensstiländerungen implementieren zu können.1

Dieses Vorgehen motiviert die Patient:innen und bindet siestärker in dieVerantwortung für die eigene Gesunderhaltung ein. Es kann durchaus nötig werden, externe Fachexpertise hinzuzuziehen, im Sinne einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit anderen chirurgischen Abteilungen, Psychotherapeut:innen oder auch einer Ernährungsberatung. In der bisherigen Leitlinie ist eine Patient:innenedukation zwar gewünscht, aber noch nicht spezifiziert.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es darum geht, eine Verhaltensänderung zu bewirken (siehe James O. Prochaskas «transtheoretisches Modell»11–13), indem wir den Patient:innen valide Informationen zugänglich machen, Probleme definieren, ein partizipatives Formulieren von Zielen vornehmen, Massnahmen planen, durchführen und in festgelegten Zeitintervallen evaluieren. Der gesamte Prozess und Verlauf sollten einheitlich dokumentiert werden und den Patient:innen und allen Behandelnden zugänglich sein.

Eine ordentliche Edukation zu Risikofaktoren sowie Wund- und Läsionsmanagement kann Ai-Betroffenen als Leitstruktur dienen und ein grosses Mass an Selbstwirksamkeit zurückgeben. Auch bei stark ritualisierten, schädlichen Verhaltens- und Denkmustern können (wiederholte) Hinweise durch medizinisches Personal nachhaltig Wirkung zeigen.11 Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Besserung der Acne-inversa-spezifischen Symptome, sondern auch um eine Reduktion des vergleichsweise deutlich höheren Risikos für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen und der damit erhöhten Mortalitätsrate im Vergleich zur nicht von Aibetroffenen Bevölkerung.12 Langfristiges Ziel muss es sein, die Acne-inversa-Betroffenen frühzeitig zu diagnostizieren und ganzheitlich zu behandeln, um dadurch ein Fortschreiten der Krankheitzu höheren Stadien zu vermeiden.

1 Schultheis M et al.: Clinical features of persons suffering from acne inversa. Dtsch Arztebl Int 2023; 120(19): 345-6 2 Scheinfeld N: An atlas of the morphological manifestations of hidradenitis suppurativa. Dermatol Online J 2014; 20(4): 22373 3 Zouboulis CC et al.: Development and validation of the International Hidradenitis Suppurativa Severity Score System (IHS4), a novel dynamic scoring system to assess HS severity. Br J Dermatol 2017; 177(5): 1401-9 4 Jemex GB: Hidradenitis suppurativa. J Cutan Med Surg 2003; 7(1): 47-56 5 Saunte DML, Jemec GBE: Hidradenitis suppurativa: advances in diagnosis and treatment. JAMA 2017; 318(20): 2019-32 6 Alikhan A et al.: North American clinical management guidelines for hidradenitis suppurativa: A publication from the United States and Canadian Hidradenitis Suppurativa Foundations: Part II: Topical, intralesional, and systemic medical management. J Am Acac Dermatol 2019; 81(1): 91-101 7 Canoui-Poitrine F et al.: Clinical characteristics of a series of 302 French patients with hidradenitis suppurativa,with an analysis of factors associated with disease severity. J Am Acad Dermatol 2009; 61(1): 51-7 8 Schultheis M et al.: Drivers of disease severity and burden of hidradenitis suppurativa: a cross-sectional analysis on 553 German patients. Int J Dermatol 2024; 63(2): 188-95 9 Garg A et al.: Overall and subgroup prevalence of Crohn Disease among patients with hidradenitis suppurativa: A population-based analysis in the United States. JAMA Dermatol 2018; 154(7): 814-8 10 Weems JJ, Beck LB: Nasal carriage of staphylococcus aureus as a risk factor for skin and soft tissue infections. Curr Infect Dis Re 2002; 4(5): 420-5 11 DiClemente CC et al.: The process of smoking cessation: an analysis of precontemplation, contemplation, and preparation stages of change. J Consult Clin Psychol 1991; 59(2): 295-304 12 Prochaska JO et al.:Measuring processes of change: applications to the cessation of smoking. J Consult Clin Psychol 1988; 56(4): 520-8 13 Prochaska JO, Velicer WF: The transtheoretical model of health behavior change. Am J Health Promot 1997; 12(1): 38-48 14 Batra A et al.: S3-Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung. AWMF-Registernummer 076-006. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/076-006 ; zuletzt aufgerufen am 6.3.2024 15 Egeberg A et al.: Risk of major adverse cardiovascular events and all-cause mortality in patients with hidradenitis suppurativa. JAMA Dermatol 2016; 152: 429-34

Back to top