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Kommentar: Stellenwert der digitalen rektalen Untersuchung (DRU) im Wandel

Zukunft der DRU im urologischen Kontext

Es erfordert Mut, an der Basis zu rütteln. Durch eine kürzlich publizierte Metaanalyse zum Stellenwert der digitalen rektalen Untersuchung (DRU) im Rahmen des Prostatakarzinom(PCa)-Screenings sind Urolog:innen angeregt, sich neu zu orientieren.1 Da die DRU als älteste und bewährte urologische Untersuchung gilt, verläuft diese Diskussion nicht ohne Emotionen und es stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse von insgesamt 85738 Patienten aus drei randomisierten kontrollierten und fünf prospektiven klinischen Studien genügend überzeugen, um die DRU als Routineuntersuchung der Urolog:innen als obsolet einzustufen.

Was kann die DRU im Rahmen des PCa-Screenings?

Die DRU ist eine kostengünstige, schnell durchführbare Untersuchung und wurde bis vor gut 50 Jahren fast ausschließlich zur Diagnose eines PCa herangezogen.2 Nun zeigt sich: Die Kombination der DRU mit der Bestimmung von Prostata-spezifischem Antigen (PSA) bringt in der Krebserkennungsrate sowie in der Vorhersage gegenüber der alleinigen PSA-Bestimmung keinen signifikanten Vorteil im Screening.1Die Ergebnisse der PROBASE-Studie kommen zu einem ähnlichen Schluss. Hier waren die wenigen mittels DRU entdeckten Karzinome (n=2/6537; 0,03%) bei unter 50-jährigen Männern nicht klinisch relevant und somit alle durchgeführten Biopsien (n=36) nicht notwendig.3 Warum also an der DRU festhalten? Schließlich ist sie eine unangenehme Untersuchung und kann ein Grund sein, Männer von der Prostatakrebsvorsorge abzuhalten, sodass sie gar nicht am Vorsorgeprogrammteilzunehmen.4Immerhin kann aber eine abnormale DRU in Verbindung mit einem erhöhten PSA-Wert die Wahrscheinlichkeit für eine positive Biopsie mehr als verdoppeln (48,6 vs. 22,4%), wie die Ergebnisse der ERSPC-Studie zeigen.5 Auch wurde bei 2% der 55–74 Jahre alten Männer der PLCO-Studie ein klinisch signifikantes PCa erst durch die DRU entdeckt.6 Ob diese PCa nicht zu einem späteren Zeitpunkt noch im lokal begrenzten Stadium mit gleichem Therapieoutcome aufgefallen wären, bleibt offen.

Auswirkungen der Metaanalyse auf die klinische Praxis und Leitlinie

Laut S3-Leitlinie soll derzeit zur Früherkennung eines PCa nach Aufklärung über Vor- und Nachteile der PSA-Wert bestimmt werden. Zusätzlich kann eine DRU durchgeführt werden.7 Nach den EAU-Leitlinien soll zur Früherkennung sowohl der PSA-Wert bestimmt als auch die DRU durchgeführt werden (Fließtext). In den zusammenfassenden Empfehlungen findet die DRU jedoch keine erneute Erwähnung und scheint somit aktuell formal schon eine untergeordnetere Rolle zu spielen, als man meinen mag.8

Die Ergebnisse der aktuellen Studie(n) deuten darauf hin, dass im Rahmen des PCa-Screenings und der Früherkennung eine zusätzliche DRU keinen Vorteil gegenüber der alleinigen PSA-Bestimmung bringt.1 Die DRU muss also kein zwingender Bestandteil der PCa-Vorsorge mehr sein. Da das Thema gerade, teils recht ungefiltert, durch die Medien geht, ist die Aufklärung der Patienten über die aktuelle Datenlage grundlegend, um darauf basierend gemeinsam eine individuelle Entscheidung zu treffen. Eine auffällige DRU geht immerhin mit einem höheren Risiko für einen höheren ISUP-Score einher.9 So könnte eine auffällige DRU z.B. gerade bei über 55-jährigen Männern in Zeiten langer Wartezeiten für ein mpMRT und eine (Fusions-)Biopsie als Indikator für eine zeitnahe Abklärung fungieren.2 Aufgrund der aktuellen Datenlage ist auf alle Fälle eine Änderung der Leitlinienempfehlungen bezüglich des Stellenwertes der DRU im Rahmen des PCa-Screenings zu erwarten.

Anhaltender Stellenwert der DRU

Laut EAU-Leitlinien ist die DRU Teil der Active Surveillance (AS) und kann bei Auffälligkeit in diesem Rahmen eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Tumorupgrade bedeuten, was eine weitere Abklärung erfordert.10 Auch präoperativ vor radikaler Prostatektomie, insbesondere bei „Highrisk“-Konstellation, ist die DRU unumstritten, um die Abgrenzbarkeit zu evaluieren und gegebenenfalls das Therapiekonzept zu ändern – vor allem wenn Monate zwischen Therapie und Diagnostik liegen. Weiters ist sie Teil der Akutabklärung, um z.B. bei einer Harnsperre oder bei einer Harnwegsinfektion die Mitbeteiligung der Prostata zu beurteilen und festzustellen, ob es einen Hinweis auf einen Prostataabszess gibt.

Fazit

Entsprechend den aktuellen Daten wird die DRU als Routineuntersuchung im Rahmen der PCa-Früherkennung zunehmend ihren Stellenwert verlieren. Es wird evtl. eine Generation von Urolog:innen brauchen, bevor wir diese charakteristische und berufsbezeichnende Untersuchung aufgeben können – falls wir nicht vorher von den bahnbrechenden Entwicklungen der personalisierten Medizin mit „liquid biopsy“ und künstlicher Intelligenz sowieso zeitlich überholt werden. Ein Hauptvorteil des Wegfalls der DRU dürfte v.a. in der zu erwartenden höheren Teilnahme der Männer an der bisher wenig akzeptierten Untersuchung zur Früherkennungdes häufigsten bösartigen Tumors liegen. Es überwiegt auch überproportional die Sorge in Bezug auf das extrem seltene PSA-negative PCa, das nur über den Tastbefund entdeckt wird. Mit den Patienten sollte hierüber nach entsprechender Aufklärung eine gemeinsame Entscheidung zu „dos and don’ts“ getroffen werden. Von selbst versteht sich hierbei mittlerweile der risikoadaptierte und leitliniengerechte Einsatz der PSA-Bestimmung. Noch unumstritten bleibt die Durchführung einer DRU insbesondere im präoperativen „High risk“-Setting zur Beurteilung der lokalen Verhältnisse.

1 Matsukawa A et al.: Comparing the performance of digital rectal examination and prostate-specific antigen as a screening test for prostate cancer: a systematic review and meta-analysis. Eur Urol Oncol 2024; doi: 10.1016/j.euo.2023.12.005 2 Konert J et al.: Der lange Weg von der Palpation zur Biopsie: Zur Geschichte der Prostatakarzinomdiagnostik. Urologe A 2021; 60(7): 943-9 3 Arsov C et al.: Prospective randomized evaluation of risk-adapted prostate-specific antigen screening in young men: the PROBASE trial. Eur Urol 2013; 64(6): 873-5 4 Nagler HM et al.: Digital rectal examination is barrier to population-based prostate cancer screening. Urology 2005; 65(6): 1137-40 5 de Vos II et al.: A detailed evaluation of the effect of prostate-specific antigen-based screening on morbidity and mortality of prostate cancer: 21-year follow-up results of the Rotterdam section of the European randomised study of screening for prostate cancer. Eur Urol 2023; 84(4): 426-34 6 Cui T et al.: Is it time to abandon the digital rectal examination? Lessons from the PLCO Cancer Screening Trial and peer-reviewed literature. Curr Med Res Opin 2016; 32(10): 1663-9 7 Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF: S3-Leitlinie Prostatakarzinom, Langversion 6.0, 2021. http://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/prostatakarzinom ; zuletzt aufgerufen am 27.5.2024 8 European Association of Urology: Guidelines: Prostate Cancer. https://uroweb.org/guidelines/prostate-cancer 9 Okotie OT et al.: Characteristics of prostate cancer detected by digital rectal examination only. Urology 2007; 70(6): 1117-20 10 Herrera-Caceres JO et al.: Utility of digital rectal examination in a population with prostate cancer treated with active surveillance. Can Urol Assoc J 2020; 14(9): 453-7

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