Autochthone Tropeninfektionen
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
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Von autochthonen Tropeninfektionen in Europa zu sprechen, scheint ein Widerspruch zu sein. Tatsächlich haben sich aber aufgrund des Klimawandels einige der Vektoren, die tropische Krankheiten übertragen, wie bestimmte Mückenarten, in europäischen Ländern angesiedelt. Dies verändert die Epidemiologie und führt tatsächlich zu autochthon erworbenen Fällen, erklärte die Innsbrucker Infektiologin Dr. Andrea Schroll.
Als autochthone Infektion wird eine Infektion bezeichnet, die von einer in einer bestimmten Region lebenden Person in dieser Region erworben wurde“, erklärte Dr. Andrea Schroll, PhD, Universitätsklinik für Innere Medizin II, MedUni Innsbruck, am Anfang ihres Vortrags. Insofern wäre, in einer idealen Welt, eine autochthone Tropeninfektion wohl nur in den Tropen zu akquirieren.
Die Realität sieht aber etwas anders aus. Vor allem aufgrund des Klimawandels und aufgrund des weltweit nach der Pandemie wieder stark angestiegenen Reiseverkehrs ist es verschiedenen Vektoren von an sich tropischen Infektionen gelungen, sich in gemäßigten, aber wärmer werdenden Klimazonen anzusiedeln. Auch das globale Transportwesen und nicht zuletzt die viel diskutierten Migrationsbewegungen spielen hier eine gewisse Rolle. So gibt es Zahlen, die zeigen, dass allein aus Deutschland pro Jahr ca. 72 Millionen Auslandsreisen unternommen werden, davon ca. 30 Millionen in Länder mit reisemedizinischer Relevanz.
Das Problem sind die Vektoren
Gerade die Vektorforschung ist in Mitteleuropa inzwischen ein größeres Thema geworden. So untersucht das von der Universität Bayreuth koordinierte Forschungsnetzwerk „BiodivERsA“ tropische Viruserkrankungen, das Projekt „CuliFo 3“ widmet sich, ebenfalls in Deutschland, der Stechmückenforschung, und auch in Österreich werden im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF alle Stechmückenarten erfasst und auf Erreger überprüft.
„Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass eine Reihe von ursprünglich tropischen Vektoren sich in Europa niedergelassen hat, etwa Aedes albopictus in Spanien und Frankreich sowie auf dem Balkan, Phlebotomen in Italien, die Anopheles-Mücke im Norden Portugals und so weiter“, berichtete Schroll. Aber auch in Österreich gibt es mittlerweile über 50 Stechmückenarten, wie Culex, Aedes oder Anopheles, sowie auch Phlebotomen (Sandmücken). So wurden z.B. in Tirol 2018 Aedes japonicus, albopictus und koreicus nachgewiesen. Ein Stechmücken-Monitoring für Österreich wird z.B. von der AGES auf ihrer Website angeboten. Zudem gibt es für das Smartphone auch eine App zur Mückenbestimmung unter dem Titel „Mosquito Alert“.
Viele mögliche Krankheitsbilder
Zu den von den genannten Vektoren übertragenen – und somit in Europa vorkommenden bzw. möglichen – Erregern gehören z.B. Arboviren, wie etwa Westnil, FSME, Dengue, Krim-Kongo, Toscana, Chikungunya sowie Sindbis.
Einige dieser Krankheitsbilder sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.
Westnil-Fieber
Das Westnil-Virus wird durch Vektoren wie Aedes aegypti, Culex oder Mansonia übertragen. Die Inkubationszeit beträgt zwischen zwei und 14 Tage. Etwa 20% der Krankheitsverläufe gehen mit Fieber einher, das sehr abrupt einsetzen kann. Weitere Symptome sind Kopf- und Gliederschmerzen, Exanthem, Lymphknotenschwellung und Meningoenzephalitis. Die Letalität bei älteren Patienten kann bis zu 40% betragen. Die Diagnostik kann mittels Bestimmung von IgM/IgG (ELISA) aus Serum oder Liquor erfolgen – auf mögliche Kreuzreaktionen mit anderen Flaviviren ist zu achten – oder mit einer PCR. 2018 gab es in Europa einen Ausbruch von Westnil-Fieber mit einigen Hundert Fällen. Seit 2022 sind bereits 851 Fälle beschrieben, sehr viele in Italien, Griechenland und Rumänien, aber auch sechs in Österreich.
Dengue-Fieber
Die Übertragung dieses Virus erfolgt über Aedes-Spezies wie A. aegypti oder albopictus. Die Inkubationszeit liegt bei fünf bis zehn Tagen. Klinisch finden sich Fieber für fünf bis sieben Tage, Kopfschmerzen, retroorbitale Schmerzen, Myalgien, Arthralgien, Übelkeit, Erbrechen und Exanthem. Der größte Teil der weltweiten Infektionen dürfte allerdings asymptomatisch verlaufen, wobei sicher ein gewisses Underreporting auch eine Rolle spielt. Ein kleiner Teil entwickelt ein hämorrhagisches Fieber oder ein Dengue-Schocksyndrom. Mittlerweile wurden Fälle von Dengue-Fieber auch aus Frankreich, Spanien, den USA, China und Australien berichtet (Verbreitung siehe Abb. 1).
Abb. 1: Verbreitungsgebiete des Dengue-Fiebers: gemeldete Fälle zwischen April und Juni 2023 (modifiziert nach ECDC 2023)
Diagnostisch kann hier ein Schnelltest auf das NS1-Antigen verwendet werden, weiters sind Antikörperbestimmungen (IgM, IgG) oder PCR möglich. Die Therapie ist lediglich symptomatisch mit fiebersenkenden Mitteln und entsprechender Flüssigkeitszufuhr. Mittlerweile steht jedoch ein neuer tetravalenter Impfstoff zur Verfügung.
Chikungunya
Das Wort Chikungunya bedeutet wörtlich „der gekrümmt Gehende“, was wohl auf die starke Schmerzsymptomatik hinweist. Das Chikungunya-Virus wird von Aedes aegypti oder albopictus übertragen, die Inkubationszeit beträgt drei bis zwölf Tage.
Das Fieber setzt abrupt ein und geht typischerweise mit Polyarthralgien einher. Es sind mehr als zehn Gelenke betroffen, wobei der Befall bilateral, symmetrisch und distal ist. Weiters treten auch Exantheme auf. Bei 10% der Betroffenen kommt es zu einem rezidivierenden Verlauf der Gelenksbeschwerden über Monate. Zuletzt kam es zu Ausbrüchen in Indien, aber auch in Italien im Jahr 2007 (250 Infizierte in der Provinz Ravenna, wobei der Indexfall ein Heimkehrer aus Indien war). Im vergangenen Jahr wurden hingegen keine Ausbrüche in Europa registriert (Abb. 2). Es gibt keine spezifische Behandlung, daher können nur die Symptome der Erkrankung gelindert werden.
Abb. 2: Chikungunya-Verbreitungsgebiete: gemeldete Fälle zwischen Juli 2022 und Juni 2023 (modifiziert nach ECDC 2023)
Flughafenmalaria
Ein modernes Phänomen ist auch die sogenannte Flughafenmalaria. Trotz Implementation bestimmter Präventionsmaßnahmen in Flugzeugen und auf Flughäfen kann es immer noch zum Import von Moskitos, die mit Plasmodienspezies infiziert sind, kommen. Im Zuge der Globalisierung des Handels und des Klimawandels ist die Flughafenmalaria häufiger anzutreffen als früher. So war die Zahl der Fälle in der Dekade von 2010 bis 2020 in Europa 7,4-mal so hoch wie in der Dekade davor. Z.B. traten am Flughafen Frankfurt im Oktober 2019 zwei Malariafälle auf. Insgesamt müssen mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Malariaprävention auf Flughäfen zu verstärken.
Sandmücken/Leishmaniose
Abb. 3: Sandmücke bei der Blutmahlzeit
Weltweit gibt es über 850 verschiedene Arten von Sandmücken oder Phlebotominae (Abb. 3). Sie können verschiedene Erreger übertragen. Dazu gehören Leishmanien (infantum, tropica), Phleboviren wie das Toscana-Virus, aber auch Parasiten wie Dirofilarien. Sandmücken haben also sowohl human- als auch veterinärmedizinische Relevanz. Endemisch kommen Leishmaniosen mittlerweile in allen südeuropäischen, am Mittelmeer gelegenen Ländern vor, von Spanien bis in die Türkei. Zu unterscheiden sind die kutane und die viszerale Leishmaniose, die von unterschiedlichen Spezies verursacht werden können.
Krim-Kongo-Fieber
Diese Erkrankung wird von Bunyaviridae ausgelöst, von denen es fünf euroasiatische und drei afrikanische Typen gibt. Die Übertragung kann durch Zecken, Bisse infizierter Nutztiere, deren Speichel oder Kot sowie auch von Mensch zu Mensch (auch nosokomial) erfolgen. Ein Reservoir bilden Pferde, Schafe, Rinder, Schweine und Vögel.
Eine besonders hohe Prävalenz (≥50 Fälle pro Jahr) findet sich in der Türkei, dem Iran, Usbekistan und im südlichen Russland (Kaukasus).
Die Krankheitssymptome treten plötzlich mit hohem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen auf und können im weiteren Verlauf zu Hautausschlägen und schweren Blutungen im Sinne eines hämorrhagischen Fiebers führen. Dies hat eine Letalität von 50%. Therapeutisch steht vor allem die symptomatische Therapie im Vordergrund. Es steht mit Ribavirin allerdings auch ein Virostatikum zur Verfügung.
Bilharziose
Schistosomen sind in der öffentlichen Wahrnehmung wenig verankert, obwohl ander von ihnen ausgelösten Bilharziose jedesJahr Zehntausende Menschen sterben. Vielleicht ändert sich das, wenn die Erkrankung auch in Europa auftritt, wie es bereits im Jahr 2013 in Korsika der Fall war. Dort erkrankten 15 Urlauber, die in einem Fluss gebadet hatten. Zwischenwirt ist eine Süßwasserschnecke (Bulinus truncatus), die Zerkarien ins Wasser ausscheidet. Diese können dann vom Menschen aufgenommen werden.
Die Erkrankung kommt in erster Linie in Afrika südlich der Sahara vor, weiters in einigen Regionen Brasiliens und Südostasiens. Im akuten Stadium (Katayama-Syndrom) kann sie durch Anamnese, klinisches Bild, Bluteosinophilie, Serologie und PCR nachgewiesen werden. Im chronischen Stadium ist die Klinik sehr variabel und die Eosinophilie fehlt meistens. Doch kann gerade die urogenitale Bilharziose im chronischen Stadium im schlimmsten Fall zu Blasenkrebs führen. Diagnostisch können der Einachweis sowie die PCR aus Harn, Stuhl oder Biopsien weiterhelfen.
Therapeutisch ist Praziquantel im chronischen Stadium das Mittel der Wahl.
Quelle:
„Autochthone Tropeninfektionen“; Vortrag von Dr. Andrea Schroll, PhD, Universitätsklinik für Innere Medizin II, MedUni Innsbruck, im Rahmen vom Symposium 5 beim 15. Österreichischen Infektionskongress, 23.März2023 in Saalfelden
Literatur:
bei der Vortragenden
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