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Ein Buch für Kinder aus einer Eizellspende

«Wir wollten dich!»

Die Psychologin Sandra Cesna und die Reproduktionsmedizinerin Anna Raggi haben gemeinsam ein Buch für Kinder aus einer Eizellspende verfasst. Mit Leading Opinions Gynäkologie & Geburtshilfe haben sie über ihre Beweggründe, Ziele und weitere geplante Projekte gesprochen.

Wie ist die Idee zu dem Buch entstanden?

A. Raggi: Ich betreue seit vielen Jahren Paare, deren Kinder durch eine Eizellspende entstanden sind, und ich habe immer wieder nach Büchern gesucht, die das Thema Eizellspende kindgerecht aufbereiten. Viele Bücher erzählen zwar sehr schöne Geschichten, aber uns hat ein bisschen die Nähe zur Realität gefehlt. Während der Pandemie haben Sandra und ich uns regelmässig darüber ausgetauscht und da kam uns die Idee, einfach selbst ein Buch zu verfassen, das unseren Wünschen und Kriterien entspricht.

S. Cesna: Ich bin Mutter von zwei Kindern aus Eizellspende und ich habe mir damals alle bestehenden Bücher zum Thema gekauft. Als Psychologin haben mir aber oft die psychologischen Aspekte darin nicht so gut gefallen. Anna ging es bezüglich der medizinischen Aspekte genauso. Zudem leite ich eine Gruppe von Eltern mit Kindern aus Eizellspende bzw. von Paaren, die Interesse daran haben. Anna hat oft Inputs aus dieser Gruppe gesucht und durch regelmässige Gespräche ist die Idee zum Buch entstanden.

Können Sie den Inhalt des Buchs kurz beschreiben?

S. Cesna: Der Klappentext des Buches beschreibt den Inhalt sehr schön. «Dieses Bilderbuch erzählt die Geschichte eines Kindes, das aus einer Eizellspende entstanden ist. Sorgfältig illustriert, einfühlsam beschrieben und medizinisch korrekt erklärt.» In diesem Text ist alles drin, was uns wichtig war.

Zu Beginn des Buches wird das Kind direkt angesprochen, dann werden die «Reise» der Eltern und das medizinische Prozedere erzählt. Durch Text und Bild werden Emotionen transportiert.

Für welche Altersgruppe ist das Buch konzipiert?

S. Cesna: Wir haben an Kinder zwischen zwei und sieben Jahren gedacht. Das ist natürlich eine weite Spanne, aber wir haben das auch im Vorfeld getestet. Für die kleineren Kinder sind die Bilder und der Spiegel zu Beginn des Buches sehr interessant, während ältere Kinder sich z.B. mehr für die medizinischen Prozeduren interessieren.

<< Die Kinder sollen das Gefühl bekommen, dass sie da sind, weil genau sie gewollt wurden.>>
S. Cesna

A. Raggi: Mit steigendem Alter, auch über die angegebene Altersspanne hinaus, können die Kinder immer mehr Details in unserem Buch entdecken. Während für Fünfjährige unter Umständen noch nicht so klar ist, was ein Mikroskop oder Spermien sind, haben Zehnjährige dafür schon ein tieferes Verständnis entwickelt. In der Praxis bemerke ich ausserdem, dass auch Familien mit Kindern aus einer ICSI das Buch interessant finden, da sie der reproduktionsmedizinische Aspekt und die Illustrationen dazu ansprechen. Zudem sind die Kinder, an die sich das Buch richtet, zum Teil bereits in einem Alter, in dem Kinder aufgeklärt werden sollten.

Was unterscheidet Ihr Buch von anderen Kinderbüchern zum Thema Eizellspende?

A. Raggi: In vielen Büchern spielt die Kinderwunschzeit eine sehr grosse Rolle. Die Eltern sind traurig, weil der Wunsch nach einem Kind unerfüllt geblieben ist, bis der Arzt oder die Ärztin die Lösung in Form einer Eizellspende präsentiert.

In der Praxis erzählen mir die Paare mit Kindern aus Eizellspende aber häufig, dass es in dem Moment, in dem sie das Kind im Arm hielten, überhaupt keine Rolle mehr spielte, wie es entstanden war, weil es das einzige war, das sie je wollten.

Daher wollten wir die Geschichte nicht damit beginnen, dass die Kinder unter anderem wegen der Trauer oder des Leids ihrer Eltern entstanden sind, sondern weil sie genau dieses Kind wollten: «Wir wollten dich.»

S. Cesna: Ich möchte betonen, dass alle Autor:innen, die sich dieser Thematik bereits gewidmet haben, Vorreiter:innen waren, die den Mut gehabt haben, solche Bücher überhaupt herauszubringen. Was uns unterscheidet, ist die psychologische Herangehensweise. Das Buch richtet sich direkt an die Kinder und denen wollen wir nicht vermitteln, dass Mama und Papa traurig waren und sie deswegen da sind. Im Gegenteil, die Kinder sollen das Gefühl bekommen, dass sie da sind, weil genau sie gewollt wurden, ganz selbstverständlich, wie andere Kinder auch.

Wie wichtig ist es, mit Kindern offen über ihre Entstehungsgeschichte zu sprechen?

S. Cesna: Das ist elementar. Auch wenn die Eizellspende in der Schweiz nicht erlaubt ist, gibt es Studien zu dem Thema und wir können auf viele Erfahrungswerte zurückgreifen, teils auch aus der Geschichte der Samenspende. Die besten Voraussetzungen bieten offene Spenden, in deren Rahmen das Kind die Möglichkeit hat, in Erfahrung zu bringen, wer die Spenderin ist, und eine offene Kommunikation von Beginn an dem Kind gegenüber. Eine gute Aufklärung korreliert mit einer besseren Eltern-Kind-Beziehung und die betroffenen Kinder bekommen von Anfang an die Möglichkeit, ihre Entstehungsgeschichte in ihre Identität einzubauen.

Man sagt, man soll Kindern spätestens bis zum Alter von sieben Jahren davon erzählen, aber ich plädiere dafür, es von Anfang an mit sogenannten «Wickelgeschichten» zu erzählen. Das hat zwei Vorteile: Erstens findet man selber Worte dafür und zweitens kennen die Kinder dann kein Leben ohne das.

Wenn Eltern einen Zeitpunkt festlegen, an dem sie es dem Kind sagen wollen, z.B. mit fünf Jahren, dann ist diese Hürde bis dahin immer im Weg, da es ja doch eine grosse Sache ist. Viele Eltern fürchten auch um die Beziehung zum Kind. Kommuniziert man von Anfang an über die Umstände der Entstehung, gibt es diese Hürde nicht und man kann das Zusammensein einfach geniessen.

Aber auch wenn die Kinder schon älter sind und man sich bisher nicht getraut hat, mit ihnen zu sprechen, sollte man es dennoch tun, weil man ihnen sonst etwas vorenthält.

<< Es war unser Ziel, dass man den Kindern zeigen kann, wie eine Eizellspende in der Realität abläuft.>>
A. Raggi

A. Raggi: Ich sehe das genauso. Das betrifft z.B. auch Kinder aus Samenspende. Es ist immer gut, wenn Eltern von Anfang an mit ihren Kindern darüber sprechen und lernen, selber Worte dafür zu finden.

Viele Paare sagen, sie erzählen es den Kindern erst dann, wenn sie reif genug sind, es zu verstehen. Dann frage ich: «Was denken Sie, welches Alter ist das?» Die Antwort lautet dann z.B.: «Ab zwölf Jahren.» Dann erkläre ich, dass es für die Kinder ganz schwer zu verstehen ist, warum man ihnen zwölf Jahre eine andere oder gar keine Geschichte erzählt hat. Dennoch ist auch meine Meinung, dass man es trotzdem erzählen sollte, wenn man sich bis dahin nicht getraut hat. Die schlechteste Option für die Kinder ist, wenn es irgendwann durch Zufall rauskommt.

Wie wichtig war Ihnen die medizinisch korrekte Aufbereitung des Buchs?

A. Raggi: Das war uns sehr wichtig. Die Bilder sollten möglichst genau sein, daher war die Illustratorin Nadja Baltensweiler auch bei mir in der Praxis, um sich alles anzusehen. Ausserdem hat sie Fotos vom Embryotransfer und Ultraschallbilder von den Eierstöcken bekommen. Es gibt nur eine Illustration, die medizinisch nicht ganz korrekt ist, und das ist die Darstellung der Spende als Geschenk am Buchcover. In der Realität wird die Eizelle natürlich nicht als Geschenk übergeben, sondern geht direkt ins Labor.

Es war unser Ziel, dass man den Kindern zeigen kann, wie eine Eizellspende in der Realität abläuft, und ich denke, das ist uns gelungen.

Wo und wie kann man das Buch erwerben?

S. Cesna: Das Buch kann derzeit nur online, aber dafür europaweit versandkostenfrei, über die Seite www.wirwolltendich.ch erworben werden.

A. Raggi: Wichtig ist noch zu erwähnen, dass das Buch in vier Sprachen erhältlich ist: Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch.

Planen Sie noch weitere gemeinsame Projekte?

S. Cesna: Ja, wir planen noch viele weitere Projekte. Wir werden immer gefragt, ob es z.B. auch Bücher für Solomütter bzw. «Familien zu zweit» oder für Kinder aus Samenspende gibt, denn viele Eltern wollen ihren Kindern erzählen und zeigen, wie sie entstanden sind. Ausserdemhabe ich mit weiteren Interessierten letztenNovember den Verein Eizellspende Schweiz gegründet. Anna und ich leisten sehr viel gemeinnützige Arbeit zu dem Thema.

A. Raggi: Wir möchten darüber hinaus eine Selbsthilfegruppe für infertile Paare in der Schweiz gründen. Die Hemmschwelle, darüber zu sprechen, ist für viele hoch und unser Ziel ist es, diese zu senken.

S. Cesna: Genau, viele Paare denken, sie hätten niemandem zum Reden, und sie fühlen sich alleine, dabei ist hier ein ganzer Pool von Betroffenen vorhanden und man müsste ihnen nur etwas gemeinsamen Raum geben.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Buchtipp

S. Cesna, A. Raggi: Wir wollten dich
Wunsch Verlag, 2023
www.wirwolltendich.ch
20 Seiten, Hardcover
CHF 37.00
ISBN: 978-3-907438-00-8

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