
Parkinson: Früherkennung – der nächste Meilenstein für Forschung und Therapie
Unsere Gesprächspartnerin:
Dr. med. Ines Debove
Zentrum für Parkinson und Bewegungsstörungen Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
E-Mail: ines.debove@insel.ch
Das Interview führte
Felix Schmidtner
Parkinson ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Schätzungsweise 30000 Menschen sind in der Schweiz betroffen. Dr. med. Ines Debove ist stellvertetende Leiterin des Zentrums für Parkinson und Bewegungsstörungen am Inselspital Bern. Im Gespräch mit Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie verrät sie, was sie als den nächsten Gamechanger betrachtet, wo sie die Zukunft der Behandlung sieht und wieso man die Patient:innen auch immer danach fragen sollte, wie sie sich sportlich betätigen.
Seit 2014 ist Dr. med. Ines Debove «in der Insel». Die gebürtige Deutsche ist in Bern die stellvertretende Leiterin des Zentrums für Parkinson und Bewegungsstörungen. Seit mehr als 10 Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit der Parkinsonkrankheit. Für die Schweizerische Neurologische Gesellschaft arbeitete sie am aktuellen Konsensus zur Parkinsonkrankheit mit. Was Debove an Parkinson besonders fasziniert, ist die Vielfältigkeit des Krankheitsbilds: «Selbst nach Jahren, wenn man meint, man kennt Parkinson, merkt man: So einfach ist es doch nicht. Jeder Patient und jede Patientin hat eine eigene Krankheitsausprägung.» Zudem überlappen sich Psychiatrie und Neurologie bei der Parkinsonkrankheit sehr, die Patient:innen haben fast immer neuropsychiatrische Symptome, die mitbehandelt werden müssen. Wir haben mit Debove über die Fortschritte und Herausforderungen der Behandlung gesprochen.
Viel Hoffnung für zukünftige Therapien wird in Anti-Alpha-Synuklein-Präparate gesetzt. Bisher hat sich hier aber kein Kandidat durchsetzen können. Wie bewerten Sie das?
I. Debove: Diese monoklonalen Antikörper – gerade das Prasinezumab, zu dem letztes Jahr die Studie publiziert wurde – wurden bisher sehr früh im Krankheitsstadium anberaumt. Man hat zwar gesehen, dass es einen Unterschied, eine Modifikation gibt. Aber die betrachteten primären Endpunkte haben sich nicht verändert. Die sekundären Endpunkte zeigen eine weniger starke Progression. Das heisst, wir können uns schon erhoffen, dass noch etwas kommt. Aber dazu braucht es jetzt Folgestudien über eine längere Zeitdauer.
Wo sehen Sie den nächsten grossen Gamechanger?
I. Debove: Den nächsten grossen Gamechanger sehe ich in der Diagnostik und Früherkennung. Letztes Jahr kamen zwei Arbeiten, von Simuni et al. und Höglinger et al., gleichzeitig in Lancet Neurology 02/24 heraus. In diesen Arbeiten zeigten sie, dass sich das Alpha-Synuklein mit dem «alpha synuclein seed amplification assay» aus verschiedensten Gewebearten wie Haut, Speicheldrüsen, Blut und Liquor isolieren lässt und damit abseits der klassischen klinischen Symptome die Vorhersage «Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Parkinson entwickeln» erlaubt. Das bringt natürlich auch ethische Fragen mit sich. Aber das wird einen grossen Umbruch für die Behandlung und Forschung bringen. Schliesslich würde das erlauben, schon in die Krankheit einzugreifen, bevor die ersten klinischen Symptome wie Tremor und Rigidität sichtbar sind, zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits 50% der dopaminergen Zellen kaputt sind. Bisher ist das Verfahren aber noch nicht kommerzialisiert und wird nur für Forschungszwecke genutzt.
Wie bewerten Sie denn die bisherigen Fortschritte in der Behandlung von Parkinson?
I. Debove: Der grösste Gamechanger ist nach wie vor die Einführung von Levodopa. Das ist die stärkste und effizienteste Therapie. Davor waren die medikamentösen Therapiemöglichkeiten stark eingeschränkt, weniger wirkungsvoll oder waren meist mit starken Nebenwirkungen verbunden. Der zweite Meilenstein ist die Tiefenhirnstimulation in den 1990er-Jahren, die sehr effizient gegen die Symptome der Parkinsonerkrankung in fortgeschrittenen Stadien ankämpft und sie in Schach halten kann. Dann kamen noch die Pumpentherapien und der MR-gesteuerte fokussierte Ultraschall (MRgFUS) zur Therapie des tremordominanten Parkinsons hinzu. Aber nach wie vor: Einen richtigen Durchbruch, in dem Sinne, dass man die Krankheit modifiziert oder moduliert, gibt es noch nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in den nächsten 10, 15 Jahren hier etwas sehen werden, aber bisher gibt es nur symptomorientierte Therapien.
Das Endstadium, in dem man nur noch palliativ arbeiten kann, ist also noch nicht vermeidbar?
I. Debove: Es kommt sehr auf den Patienten, die Patientin an. Es gibt Patient:innen, die einen sehr langsamen Verlauf haben, wo der Alterungsprozess den Parkinsonprozess überschlägt. Aber bei denjenigen, die einen aggressiven Verlauf haben oder einen «klassischen» Verlauf, wie er in den Büchern steht, endet dieser zu einer gewissen Zeit, wenn die aktuell verfügbaren Therapien ausgereizt sind. Aber die Zeit, bis es dazu kommt, ist sehr variabel. Es gibt viele Patient:innen, die sich durch Aktivität sehr lange halten können. Es ist für keinen Patienten, keine Patientin ein Todesurteil, dass sie Parkinson haben. Man stirbt nicht an Parkinson.
Wo sehen Sie derzeit die grössten Herausforderungen?
I. Debove: Für mich ist die Früherkennung die grösste Herausforderung. Wenn wir es schaffen könnten, die Krankheit früher zu erkennen und zu therapieren, hätten wir eine Waffe in der Hand, mit der wir die Erkrankung grundlegend verändern können.
Wie bewerten Sie denn den Status quo der Therapie?
I. Debove: Das, was wir aktuell mehrheitlich anbieten, sind insbesondere symptomorientierte Therapien. Die Therapien sind da, effizient und gut. Wir können vielen, wenn auch nicht allen Patient:innen eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität über einen sehr langen Zeitraum ermöglichen. Wenn Sie ein gutes multidisziplinäres Team haben und die Patient:innen in einem guten sozialen Umfeld eingebettet sind, wo sie einen supportiven Partner haben, lässt sich sehr gut damit leben. Die Frage ist nur, wie lange. Was ist, wenn wir die bestehenden Therapiemöglichkeiten ausgereizt haben? Was machen wir dann? Es besteht natürlich immer die Möglichkeit der palliativmedizinischen Betreuung beziehungsweise zusätzlich begleitend die Palliativmedizin zu involvieren, die man nicht vernachlässigen darf und eine sehr wichtige Rolle spielt. Aber das sind natürlich keine Medikamente oder technischen Massnahmen mehr wie die Tiefenhirnstimulation, mit denen wir die Erkrankung zehn Jahre zurückschrauben können. Wir müssen die Palliativmedizin trotzdem immer als etwas ansehen, das wir den Patient:innen anbieten können. Das ist nicht etwas, wo wir sagen, «das ist nichts». Es haben sehr viele von uns ein Problem, sich dem zu stellen. Dabei heisst Palliativmedizin, auch jemanden weiter zu begleiten, und spielt eine wichtige Rolle für uns in der Neurologie.
Gibt es etwas, das in der Betrachtung der Parkinsonkrankheit oft übersehen wird oder zu kurz kommt?
I. Debove: Sagen wir es mal so: Das Problem ist im Gesundheitssystem gelegen. Die Zeit, sich Patient:innen zu widmen, ist knapp. Wenn wir mehr Zeit hätten, würden sich viele Mediziner:innen bestimmten Symptomen besser oder anders widmen. Dadurch, dass wir einem zeitlichen und einem ökonomischen System unterworfen sind, wird das gemacht, wofür man hinterher krankenkassentechnisch etwas abrechnen darf. Das sind meistens klinische Untersuchungen wie MRT oder nuklearmedizinische Untersuchungen, aber nicht die Gesprächsführung. Im Bereich der Parkinsonerkrankung werden dadurch Beschwerden wie zum Beispiel die neuropsychiatrischen Symptome oft zu wenig erfasst. Ich habe zwar schon das Gefühl, dass sich alle bemühen, das abzudecken. Aber nicht alle haben den Luxus wie wir im Unispital, eine Stunde lang mit den Patient:innen verbringen zu dürfen, die meisten müssen sich aus Zeitgründen oft beschränken. Dann kommen solche Gespräche zu kurz und insbesondere auch die Angehörigen, die die Erkrankung mittragen und miterleben.
Da kann man anderen Mediziner:innen aber auch nichts anraten, wenn einfach die Zeit fehlt?
I. Debove: Es gibt schon Möglichkeiten wie Fragebögen, an die man erinnern kann und die man im Vorfeld an die Patient:innen ausgeben könnte. Also man macht z.B. einen Fragebogen gezielt zu einem Themengebiet wie den Impulskontrollstörungen oder zur krankheitsorientierten Lebensqualität. Dann sieht man schon vor der Sprechstunde, wo die Hauptproblempunkte sind, und kann gezielt darauf eingehen und problemorientiert vorgehen. Dadurch kann man einen guten Kompromiss schaffen.
Wenn man Ihren Namen googelt, findet man Patient:inneninformationsfilme mit Namen wie «Cursed2move». Bei einem dieser Filme begleiten Sie Patient:innen bei einer Art Tanz-therapie. Wie ist es dazu gekommen?
I. Debove: Unser Projekt ist dadurch entstanden, dass wir zusammen mit Parkinson Schweiz jedes Jahr eine Informationsveranstaltung gerichtet an Betroffene und Angehörige machen. Parkinson Schweiz macht das gemeinsam mit unterschiedlichen Kliniken schweizweit. Ich habe mir immer schon gedacht, ich würde gerne Patient:innen auch aus ihrer Sicht erzählen und präsentieren lassen. Bisher waren das einfach Fachvorträge. Aber Patient:innen selbst vor einem Publikum von 200 Personen vortragen zu lassen, ist natürlich auch schwierig. Man weiss nicht, in welchem Zustand sie zum Veranstaltungszeitpunkt sind, und würde sie exponieren. Dann kamen wir auf die Idee, ein Thema auszuwählen und dazu die Patient:innen zu befragen und zu filmen. Eine Kollegin und Berner Filmemacherin, Bettina Rotzetter, hat sich angeschlossen, wir haben Sponsoring organisiert und uns auf die Reise gemacht, die Patient:innen gefragt und es ist jedes Jahr ein bisschen gewachsen. Dann haben wir im Verlauf, je nach Thematik des Films unterschiedliche Expert:innen wie den Parkinsonexperten Prof. Bas Bloem aus Nijmegen und David Leventhal angefragt, der im Tanz eine Koryphäe ist, und sie haben alle Ja gesagt. Jedes Jahr haben wir ein Thema rausgesucht und es beleuchtet. Mit dem Konzept, dass auf der einen Seite die Patient:innen selber ihre Sicht im Rahmen von Interviews darstellen können und auf der anderen Seite Expert:innen ihren wissenschaftlichen Background einbringen können. Daraus sind dann diese Awareness- und Edukationsfilme entstanden, die unterschiedliche Themenbereiche wie unter anderen den Tanz, die Impulskontrollstörungen oder die Lebensqualität abdecken. Ich habe viel dabei gelernt und und die vielen Menschen, die wir treffen und mit denen wir uns austauschen durften, haben mich sehr inspiriert.
Apropos Thema Tanz und Sport: Wäre das etwas, wo Sie als Ärztin sagen würden: «Eigentlich müsste man den Patient:innen Sport verschreiben»?
I. Debove: Ja! In den Niederlanden machen sie das sogar. Sie verschreiben dort den Patient:innen nicht nur Physiotherapie, sondern auch Bewegungstherapie. Verschreibung von Tanztherapie gehört auch dazu. Natürlich ist das nicht jedermanns Sache. Aber jede Form von Bewegung ist wohltuend bei dieser Erkrankung.
Der Therapiestandard ist aber weiterhin die Dopaminersatztherapie?
I. Debove: Das ist richtig. Aber diejenigen, die sich regelmässig sportlich betätigen, haben einen anderen, langsameren Verlauf. Dafür gibt es mit zahlreichen Studien in der Zwischenzeit genügend Evidenz. Nicht nur in motorischen Belangen, sondern auch in nichtmotorischen. Es ist mittlerweile erwiesen, dass das die Lebensqualität der Individuen und der Gruppe deutlich verbessert. Deshalb muss man die Patient:innen immer wieder darauf ansprechen: «Was machen Sie noch nebst Physiotherapie? Gehen Sie laufen oder spazieren, haben Sie einen Hund?» Es ist unsere Rolle, Patient:innen anzuspornen, neue Sachen zu entdecken und aktiv zu bleiben. Parkinson Schweiz bietet umfangreiche Programme über die ganze Schweiz verteilt an, auf die man Patient:innen verweisen kann. Selbst wenn jemand sagt: «Ich hab jetzt das ganze Leben nicht getanzt», empfehle ich den Patient:innen, die Programme auszuprobieren.
Welche Kandidaten für zukünftige Therapien sind denn derzeit am vielversprechendsten?
I. Debove: Das finde ich schwierig zu sagen. Es gibt immer viel Hype um die Krankheitsmodifikation. Klar, die immunmodulierenden Präparate mit den monoklonalen Antikörpern klingen sehr vielversprechend und haben einen attraktiven Pathomechanismus. In der Zwischenzeit und immer wieder aufgewärmt sind die Stammzellen, wobei Stammzellen leider bisher nicht wirklich durchschlagend gewesen sind. Das wäre jedoch ein Angebot an die Patient:innen, die jetzt schon so viele dopaminergen Zellen verloren haben. Die Krankheitsmodifikation wäre für diejenigen da, die hoffentlich so weit sind, dass die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist.
Was können wir den Patient:innen anbieten, die bereits Parkinson haben?
I. Debove: Da geht es vor allem um Verbesserungen bisheriger Therapien. Können wir die Tiefenhirnstimulation noch verbessern, die technischen Gegebenheiten? Kann man mit der Bildgebung noch mehr rausholen? Kann man mit bestimmten Biomarkern die Einstellung der Tiefenhirnstimulation noch personalisieren und kriegt dadurch ein besseres Outcome hin? Dass man die Medikamente verbessert, dass sich die Pumpentherapien noch weiter entwickeln: Das sind alles Bereiche, wo überall noch etwas «on top» möglich ist. Aber ich hoffe, dass der nächste Meilenstein bald folgt. Es wäre für die Patient:innen sehr wünschenswert, dass wir das wieder in Bewegung bringen, was Prof. Hans Peter Ludin damals vor vielen, vielen Jahren in der Schweiz geschafft hat.
Mit Prof. Ludin hat Ihr Kollege Professor Sturzenegger für einen Ihrer Patient:inneninformationsfilme gesprochen. Wie würden Sie den Beitrag von Prof. Ludin zusammenfassen?
I. Debove: Prof. Ludin hat massgeblich die Levodopa-Therapie in der Schweiz eingeführt, ein grosser Meilenstein in der Parkinsontherapie, welcher bis heute ein Goldstandard in der Therapie der Parkinsonkrankheit geblieben ist. Ausserdem ist Prof. Ludin Begründer der Parkinsonvereinigung der Schweiz und hat hierdurch für Betroffene und Angehörige massgeblich zur Vernetzung, Unterstützung und Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen und Angehörigen beigetragen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Literatur:
● Simuni et al.: A biological definition of neuronal α-synuclein disease: towards an integrated staging system for research. Lancet Neurol 2024; 23(2): 178-90 ● Höglinger et al.: A biological classification of Parkinson´s disease: the SynNeurGe research diagnostic criteria. Lancet Neurol 2024; 23(2): 191-204
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