Schwer fassbar, aber sehr relevant!
Autor:
PD Dr. med. Stefan Mohr
Chefarzt Frauenklinik Bürgerspital
Solothurn
E-Mail: stefan.mohr@spital.so.ch
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Die interstitielle Zystitis bzw. das «bladder pain syndrome» (IC-BPS) macht uns und den Patientinnen das Leben nicht gerade einfach. Während es im Alltag teils als inexistent oder als Modediagnose verschrien ist, lernt man bei der Betreuung der davon Betroffenen schnell, wie hoch der Leidensdruck sein kann. Die unklare Ätiologie und eine uneinheitliche Symptomatik erschweren oft eine rasche Behandlung. Es gibt jedoch Therapieansätze, die unseren Patientinnen Linderung verschaffen können. Der wichtigste Schritt dorthin: an die IC-BPS als mögliche Diagnose denken!
Typischerweise klagen von interstitieller Zystitis/«bladder pain syndrome» (IC-BPS) Betroffeneüber Symptome einer Harnwegsinfektion oder Unwohlsein, welches sie in ihren Aussagen oft unmittelbar der Blase zuschreiben. Meist haben sie bereits viele verschiedene Ärztinnen und Ärzte aufgesucht und mehrfach Antibiotika eingenommen. Aufgrund der uneinheitlichen Symptomatik, weil eindeutige diagnostische Tests fehlen und weil das Wissen über diese Erkrankung oft gering ist, wird die Diagnose im Durchschnitt erst nach 5–9 Jahren gestellt. Die Häufigkeit wird mit 52–500 (Frauen) und 8–41 (Männer) pro 100000 angegeben und sie steigt auf 1431/100000, wenn Verwandte ersten Grades betroffen sind.1
Ätiologie
Die Ätiologie des IC-BPS ist weitgehend unklar. Vermutet wird ein multifaktorielles Geschehen, wobei verschiedene Theorien angenommen werden: Schäden an der Glykosaminoglykanschicht der Blase mit resultierender neurogener Inflammation, Autoimmunerkrankung, unerkannte oder unerkennbare Infektionen und alterierte periphere oder zentrale Schmerzwahrnehmung.2
Symptome
Die Symptome treten oft anfallsartig auf und können durch Stress, Sex, Menstruation, Nahrungsmittel etc. getriggert werden.3 Richtungsweisend ist dabei auch der Umstand, dass Urinkulturen meist keinen Erregernachweis erbringen. Definitionsgemäss handelt es sich um persistierende oder rezidivierende Blasenschmerzen plus eines dieser drei weiteren Symptome: Schmerzzunahme bei Blasenfüllung, Zunahme der Miktionsfrequenz oder Nykturie. Eine weitere Definition beschreibt: «an unpleasant sensation (pain, pressure, discomfort) perceived to be related to the urinary bladder, associated with lower urinary tract symptoms of more than six weeks duration, in the absence of infection or other identifiable causes».2
Diagnose
Im Detail variieren die Definitionen des IC-BPS ebenso wie die Bewertung der verschiedenen diagnostischen Massnahmen je nach Fachgesellschaft (siehe Hanno et al. 2015):2 In der klinischen Beurteilung stehen Anamnese und klinische Untersuchung im Vordergrund, ergänzt durch ein Miktionstagebuch, Restharnmessung und Urinstatus/-kultur und -zytologie.4 Die Erfassung der Symptome mittels Schmerzfragebogen, Ernährungstagebuch, Zystoskopie, Urodynamik, Hydrodistension, Blasenbiopsien und Bildgebung werden unterschiedlich bewertet.4,5 Differenzialdiagnostisch sollte an eine Missbrauchsanamnese, Voroperationen im Becken, sexuell übertragbare Erkrankungen, Malignome und Endometriose gedacht werden. IC-BPS ist ausserdem assoziiert mit Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom, Vulvodynie, Endometriose, Fibromyalgie, Fatigue.3
In der Sprechstunde lässt sich anhand der meist langen Leidensgeschichte, der beschriebenen Beschwerden und der erfolglosen antibiotischen Therapien bei unauffälliger Urinkultur bereits der Verdacht auf ein IC-BPS stellen. Miktions- und Ernährungsverhalten können dies weiter bestärken, denn oft führen Nahrungsmittel zu einer Verschlechterung der Beschwerden. Klinische Untersuchung, Urinanalyse und Restharnmessung dienen vor allem dem Ausschluss anderer Ursachen der Beschwerden. Der IC-Test, also die Hydrodistension der Harnblase in Vollnarkose, ermöglicht den Nachweis von petechialen Einblutungen und Hunner’schen Ulzerationen (erythematöse Plaques mit radiär auslaufenden Gefässen), die wegweisend für die Diagnose der IC-BPS sind. Allerdings schliesst ein unauffälliger IC-Test die IC-BPS nicht aus, die Hydrodistension an sich kann jedoch auch therapeutisch wirken.
Therapie
Wenn man die Diagnose der IC-BPS annimmt, sollte in erster Linie analgetisch behandelt werden. Verhaltenstherapie, Physiotherapie und Umstellung der Ernährung gehören zu den empfohlenen Massnahmen (Vermeidung von Zitrusfrüchten, Tomaten, Kaffee, Tee, Kohlensäure, Alkohol,…). Hierdurch kann eine Verbesserung des Krankheitsbildes bei bis zu 45% erreicht werden.2 Weniger klar ist die Empfehlung von Akupunktur, Triggerpunktinjektionen des Beckenbodens und transkutaner Nervenstimulation. In zweiter Linie wird oral oder intravesikal therapiert. Medikamentös werden v.a. Pentosan-Polysulfat (Elmiron, relativ neu in der Schweiz zugelassen, Kostengutsprache nötig, gemäss S2k-Leitlinie), Amitriptylin und Gabapentin angewandt. Intravesikale Therapien sind häufig ausgesprochen hilfreich, wobei sich Hyaluronsäureinstillationen anbieten, da sie einfach verfügbar sind. Alternativ können DMSO- oder Lidocain-Heparin-Bicarbonat-Lösungen probiert werden (Achtung: Kostengutsprache), und auch eine Botoxinjektion kann erwogen werden. Bei 11–16% lassen sich zystoskopisch die typischen Hunner’schen Ulzerationen nachweisen, die mittels Fulguration oder Unterspritzung mit Triamcinolon lokal therapiert werden können. Wenn alle Stricke reissen und der Leidensdruck entsprechend gross ist, kann selten, aber ultimativ eine Harnableitung mit oder ohne Zystektomie notwendig werden.
Fazit
Während wir momentan nicht einmal die exakte Ätiologie des IC-BPS kennen, liegen diagnostische Hoffnungen auf der Entwicklung von Biomarkertests im Urin oder Blut der Patientinnen. Therapeutisch könnten weitere orale Medikamente oder Immunsuppressiva eine Rolle spielen.
Das IC-BPS ist multifaktoriell bedingt, geht häufig mit Komorbiditäten einher und präsentiert sich klinisch sehr vielfältig. Anamnese und klinische Untersuchung stehen im Vordergrund: Blasen- oder Miktionsschmerzen über mehr als sechs Wochen unter Ausschluss anderer Pathologien erlauben die Diagnosestellung. Die Behandlung besteht in einem multimodalen Therapieansatz mit stufenweiser Eskalation. Der wichtigste Punkt ist jedoch simpel: dran denken! Um die Patientinnen korrekt behandeln zu können, muss man zunächst auf die Idee kommen, das IC-BPS differenzialdiagnostisch in Betracht zu ziehen.
Literatur:
1 Davis NF et al.: Interstitial cystitis/painful bladder syndrome: epidemiology, pathophysiology and evidence-based treatment options. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2014; 175(1): 30-37 2 Hanno PM et al.: Diagnosis and treatment of interstitial cystitis/bladder pain syndrome: AUA guideline amendment. J Urol 2015; 193(5): 1545-53 3 Bresler L et al.: Bladder pain syndrome in women. JAMA 2019; 322(24): 2435-36 4 Malde S et al.: Guideline of guidelines: bladder pain syndrome. BJU Int 2018; 122(5): 729-43 5 Clemens JQ et al.: Diagnosis and treatment of interstitial cystitis/bladder pain syndrome. J Urol 2022; 208(1): 34-42
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