Management der tief infiltrierenden Endometriose
Autor:
Dr. med. Rasmus Schmädecker
Leitender Arzt Frauenklinik Spital Uster
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Eine massgeschneiderte Therapie ist gerade für Patientinnen mit tief infiltrierender Endometriose von besonderer Bedeutung. Der potenziell organschädigenden Erkrankung muss radikal genug begegnet werden, ohne Einbussen für Gesundheit, Lebensqualität oder Fertilität der Patientin in Kauf zu nehmen. Es gilt, die passende Therapie für die individuelle Patientin zum richtigen Zeitpunkt zu finden.
Die Therapie der tief infiltrierenden Endometriose stellt Patientin und behandelndes Fachpersonal vor besondere Herausforderungen. Was die tief infiltrierende Endometriose von der «normalen» peritonealen Endometriose unterscheidet, ist das tiefe Einwachsen in umliegendes Gewebe oder Organe (Abb. 1). Dies kann nicht selten zu Funktionseinschränkungen wichtiger Organe wie Harnblase, Enddarm, Harnleiter oder Niere bis hin zum Funktions- und Organverlust führen. Daher ist die tief infiltrierende Endometriose auch die Form der Endometriose, die bei drohendem Organverlust imperativ operiert werden muss – unabhängig davon, ob die Patientin Beschwerden hat oder nicht –, ähnlich einer malignen Erkrankung. Mit den malignen Erkrankungen teilt sie übrigens nicht nur die Tendenz zur Gewebeinfiltration: Patientinnen mit tief infiltrierender Endometriose haben ein statistisch erhöhtes Risiko für einige Krebsarten, insbesondere Eierstockkrebs.1
Abb. 1: Tief infiltrierende Endometriose des Septum rectovaginale und des linken Sakrouterinligaments
Auf der anderen Seite kann die Therapie der tief infiltrierenden Endometriose unerwünschte Nebenwirkungen haben. Von einer schlecht vertragenen hormonellen Therapie mit depressiven Verstimmungen über Thrombosen bis zur Lungenembolie kann bereits die medikamentöse Einstellung weitreichende Herausforderungen bieten. Die operative Therapie der tief infiltrierenden Endometriose stellt sicherlich per se höchste Anforderungen an das Operationsteam. Durch die oftmals weitgehend verzerrte oder gänzlich zerstörte Anatomie ist das Risiko für die Verletzung wichtiger Strukturen deutlich erhöht. Insbesondere die operative Therapie der tiefen Rektumendometriosen zeigen Raten schwerwiegender Komplikationen im deutlich zweistelligen Prozentbereich.2
Die massgeschneiderte Therapie muss insofern an die Patientin angepasst werden, als dass sie idealerweise sämtliche durch die Erkrankung hervorgerufene Einschränkungen beseitigt, ohne neue hervorzurufen.
Beschwerden und Diagnostik der tief infiltrierenden Endometriose
Die tief infiltrierende Endometriose ruft nicht selten gar keine Schmerzen hervor. Sollten andere Symptome wie Infertilität oder zum Beispiel ein Nierenstau bei einer jungen Patientin vorliegen, sollte dies unbedingt berücksichtigt werden. Das Leitsymptom der tief infiltrierenden Endometriose ist sicherlich die Dysmenorrhö. Je nach befallenem Kompartiment oder Organ können die Dyspareunie, die Dyschezie oder die Dysurie hinzukommen – wobei auch hier gilt, dass nicht jeder Rektumherd eine Dyschezie verursachen muss. Darüber hinaus kann die tief infiltrierende Endometriose eine Vielzahl unspezifischer Symptome und funktioneller Störungen hervorrufen. Die Diagnostik der tief infiltrierenden Endometriose besteht aus einer ausführlichen Anamnese sowie einer gründlichen gynäkologischen Untersuchung. Die zentrale Rolle in der bildgebenden Diagnostik kommt heute der transvaginalen Ultraschalluntersuchung zu: In den Händen des erfahrenen Untersuchers steht sie dem MRT in nichts nach.3, 4 Die tief infiltrierende Endometriose kann bereits präoperativ durch eine spezialisierte Transvaginalsonografie nach der #Enzian- (u)-Klassifikation klassifiziert werden.5 Der sicherlich wichtigste Punkt ist aber die Nierensonografie: Bei jeder Patientin mit Verdacht auf tief infiltrierende Endometriose muss eine Nierensonografie durchgeführt werden.
Therapiestrategien bei tief infiltrierender Endometriose
Sollte hier ein Harnstau festgestellt werden, so liegt bis zum Beweis des Gegenteils eine den Ureter komprimierende Endometriose vor, die zwingend operiert werden muss. Eine zeitnahe urologische Vorstellung mit weiterer Abklärung und gegebenenfalls interdisziplinärer OP-Planung sollte umgehend eingeleitet werden. Nicht immer allerdings tut uns die Erkrankung den Gefallen, ein so klar umrissenes Management zu diktieren.
Oft gilt es, Kompromisse zu machen. Prinzipiell gibt es drei Symptomenkreise, die wir berücksichtigen müssen:
-
Schmerzen
-
Funktionseinschränkungen von Organen
-
Infertilität
Hinsichtlich der Schmerzen müssen die Risiken einer Therapie mit dem zu erwartenden Benefit abgewogen werden. Dasselbe gilt für die Funktionseinschränkungen von Organen, wobei es hier sicherlich neben der Ureterkompression noch die (sub)okkludierenden Darmendometriosen gibt, die eine operative Therapie unumgänglich machen. Anders sieht es bei der Infertilität aus: Hier galt lange die Devise, bei tief infiltrierender Endometriose der assistierten Reproduktion den Vorzug zu geben. Neuere Studien zeigen allerdings, dass die Operation in Abwesenheit einer kolorektalen tief infiltrierenden Endometriose der assistierten Reproduktion hinsichtlich Schwangerschaftsraten überlegen ist.6
Ganz allgemein gilt es, die Therapie aufbauend zu gestalten: Solange keine Funktionseinschränkungen von Organen vorliegen, sollte zunächst der Versuch einer hormonell induzierten, therapeutischen Amenorrhö angestrebt werden. Wenn trotz Blutungsfreiheit unter dieser Therapie Beschwerden persistieren, im Falle eines aktiven Kinderwunschs sowie bei Funktionseinschränkungen von Organen oder drohendem Organverlust kann, sollte oder muss die operative Resektion der tief infiltrierenden Endometriose erfolgen. Im Falle eines abgeschlossenen Kinderwunschs kann auch eine Gebärmutterentfernung eine sinnvolle Option sein. Der optimale Zeitpunkt für eine Operation muss sicherlich für jeden einzelnen Fall individuell gefunden werden. Meistens wird er aber klar, wenn sich aufgrund bestimmter Umstände wichtige Säulen der Endometriosetherapie erübrigen: Der klassische Fall ist hier natürlich das Wegfallen der Möglichkeit der hormonellen Therapie im Rahmen der Verwirklichung des Kinderwunschs.
Darüber hinaus ist es wichtig, nur so radikal zu operieren, wie es die Beschwerden der Patientin erforderlich machen. Im Rahmen einer radikalen Operation sehenden Auges autonome Nervenstränge zu opfern und einen Funktionsverlust der Harnblase in Kauf zu nehmen, wird nur in absoluten Ausnahmefällen im Sinne der Patientin sein. Ebenso muss eine Rektumendometriose, die keine Dyschezie verursacht, nicht operiert werden (hinsichtlich der möglichen Komplikationen könnte man sogar argumentieren, sie sollte nicht operiert werden.)
Ein zentrales Leitmotiv der Therapie der tief infiltrierenden Endometriose lautet also: so radikal wie nötig, so schonend wie möglich. In diesem Rahmen ist sicherlich der Wandel in der Therapie der Endometriosezysten des Eierstocks, der sogenannten Endometriome, zu erwähnen, den wir seit einigen Jahren beobachten. Endometriome werden in den meisten Fällen von umliegender tief infiltrierender Endometriose begleitet.7 Die herkömmliche Operationstechnik, die operative Entfernung des Zystenbalgs, gilt weithin noch als Goldstandard, auch wenn es nachweislich gesundem Eierstockgewebe schadet und die ovarielle Reserve mindert.8 In den letzten Jahren zeigt sich ein deutlicher Trend hin zu ablativen Verfahren (Laser, Sklerotherapie, Plasma; Abb. 2), die in neuen Studien vergleichbare Rezidivraten9, keinen Einfluss auf die ovarielle Reserve und bessere Schwangerschaftsraten10 zu haben scheinen. Am Kongress der «Society for Endometriosis and Uterine Disorders» im April 2024 in Genf sprach sich die überwiegende Mehrzahl der Delegierten für die ablativen Verfahren der Chirurgie der Endometriome als neuen Goldstandard aus. Dieses Leitmotiv zieht sich durch alle Unterthemen in der Behandlung der tief infiltrierenden Endometriose, sei es die operative Therapie der Rektumendometriose, der Zwerchfellendometriose oder der Harnleiterendometriose: ideale Ergebnisse mit minimalen Komplikationen zu erreichen. Es zeigt letztlich, inwieweit die Therapie der so lange stiefmütterlich behandelten Erkrankung Endometriose im Zeitalter der individualisierten Medizin angekommen ist.
Abb. 2: Argon-Plasmaablation bei Endometriosezyste des rechten Ovars
Literatur:
1 Barnard ME et al.: Endometriosis typology and ovarian cancer risk. JAMA 2024; 332(6): 482-489 2 Volodarsky-Perel A et al.: Low rectal resection for low rectal endometriosis and rectal adenocarcinoma: Are we discussing the same risks? Int J Gynaecol Obstet 2024; 167(2): 823-830 3 Burghaus S et al.: Diagnosis and Treatment of Endometriosis. Guideline of the DGGG, SGGG and OEGGG (S2k Level, AWMF Registry Number 015/045, August 2020). Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(4): 422-446 4 Keckstein J et al.: Expert opinion on the use of transvaginal sonography for presurgical staging and classification of endometriosis. Arch Gynecol Obstet 2023; 307(1): 5-19 5 Keckstein J et al.: The #Enzian classification: A comprehensive non-invasive and surgical description system for endometriosis. Acta Obstet Gynecol Scand 2021; 100(7): 1165-1175 6 Ferrier C et al.: First-line surgery vs first-line ART to manage infertility in women with deep endometriosis without bowel involvement: A multi-centric propensity-score matching comparison. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2023; 280: 184-190 7 Kondo W et al.: Associação entre endometrioma ovariano e endometriose profunda infiltrativa [Association between ovarian endometrioma and deep infiltrating endometriosis]. Rev Bras Ginecol Obstet 2012; 34(9): 420-4 8 Johnson NP, Hummelshoj L: World Endometriosis Society Montpellier Consortium. Consensus on current management of endometriosis. Hum Reprod 2013; 28(6): 1552-68 9 Roman H et al.: Postoperative recurrence and fertility after endometrioma ablation using plasma energy: retrospective assessment of a 3-year experience. J Minim Invasive Gynecol 2013; 20: 573-58 10 Candiani M et al.: Fertility sparing procedure using carbon dioxide fiber laser vaporization of ovarian endometrioma. J Vis Exp 2022; (185)
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