
Die Rolle der Endothelzellen
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
Tim Dreier schloss sein Studium der Humanmedizin 2023 in Wien ab. Im Doktoratsstudium bei Ap.Prof. Priv.-Doz. Dr. Johanna Gebhart, PhD, forscht er an Endothelschäden bei leichten bis mittelschweren Blutungsstörungen, auch jenen unbekannter Ursache.
Wie würden Sie Ihre Forschung in drei Sätzen beschreiben?
Bei einem Großteil der Patient:innen mit Blutungssymptomen lässt sich trotz umfassender Diagnostik keine spezifische Gerinnungsstörung nachweisen, weshalb in solchen Fällen die Bezeichnung „Blutungsneigung unklarer Ursache“ („bleeding disorder of unknown cause“) verwendet wird. Unser Ziel im Rahmen der Vienna Bleeding Biobank ist es, neue pathophysiologische Mechanismen dieser Blutungsneigungen zu identifizieren. Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt auf der genaueren Charakterisierung dieser Patient:innen und auf der Erforschung der Rolle der Endothelzellen, den Zellen der Gefäßwand, als mögliche Ursache für diese Blutungsneigung unklarer Ursache.
Wie ist Ihr Forschungsvorhaben entstanden?
Physiologische Hämostase basiert auf der komplexen Interaktion verschiedener Systeme – darunter plasmatische Gerinnungsfaktoren, Thrombozyten sowie weitere Bindeglieder wie der Von-Willebrand-Faktor. Während diese Komponenten bereits seit Langem im Zentrum hämostaseologischer Forschung stehen, wurde dem Endothel als Lokalisation dieser hämostatischen Prozesse bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Während Funktionsstörungen des Endothels bei anderen Erkrankungen, wie Arteriosklerose oder Diabetes mellitus, bereits genau untersucht wurden, ist deren möglicher Einfluss auf Blutungsneigungen bislang weitgehend ungeklärt. Im Rahmen meines PhD-Projekts untersuche ich nun, ob Funktionsstörungen von Endothelzellen einen möglichen Mechanismus für die Blutungsneigung unklarer Ursache darstellen könnten. Rezent publizierte Daten, im Speziellen die Identifikation einer Mutation im APOLD1-Gen, legen nahe, dass eine Funktionsstörung des Endothels mit einem schweren und vererbbaren Blutungsphänotyp einhergehen kann.
Was ist das bestmögliche Ergebnis, das Sie sich für Ihre Forschung vorstellen können?
Zu den häufigsten Symptomen, die von Patient:innen mit einer Blutungsneigung unklarer Ursache berichtet werden, zählen postoperative Nachblutungen und Blutungskomplikationen, verstärkte Blutungen nach kleineren Eingriffen wie Zahnextraktionen sowie eine ausgeprägte Hämatomneigung bereits nach Bagatelltraumata. Besonders bei Frauen stellt eine verstärkte Menstruationsblutung ein zentrales klinisches Merkmal dar – mehr als 60% der betroffenen Patient:innen geben dieses Symptom an. Das „bestmögliche Ergebnis“ unserer translationalen Forschung auf dem Gebiet der Blutungsneigung unklarer Ursache wäre somit, zeigen zu können, dass endotheliale Dysfunktion ein eigenständiger Auslöser für Blutungsneigungen und deren Symptome sein können. Darüber hinaus würde die Identifikation bislang unbekannter Störungen der Hämostase sowie potenzieller prospektiver Risikofaktoren für zukünftige Blutungsereignisse nicht nur das Verständnis der Patient:innen für ihre Erkrankung vertiefen, sondern auch gezielte Ansätze für Therapie und Prophylaxe ermöglichen.
Wie geht es mit Ihrer Forschung/Ihrem Projekt in der Zukunft weiter?
Im Rahmen der Vienna Bleeding Biobank rekrutieren wir weiterhin kontinuierlich Patient:innen mit ungeklärter Blutungsneigung. Aufbauend auf unseren bisherigen Erkenntnissen zur möglichen Rolle der Endothelzellen als pathophysiologischer Faktor in dieser Gruppe von Patient:innen plane ich, dieses Forschungsgebiet auch über die Dissertation hinaus weiterzuverfolgen. Aktuell arbeiten wir an der Etablierung mehrerer interdisziplinärer Kooperationsprojekte, die es ermöglichen sollen, die Endothelfunktion mithilfe von molekularbiologischen und zellbasierten Methoden gezielt in vitro zu analysieren und mit klinischen Blutungsphänotypen zu korrelieren. Darüber hinaus ermöglicht unsere umfangreiche Bio- und Datenbank durch den Einsatz moderner statistischer Verfahren, einschließlich Machine-Learning-Algorithmen und KI-gestützter Analysen, eine präzise Charakterisierung von Patient:innen mit Blutungsneigungen. Diese Ansätze erlauben es nicht nur, bestehende Muster in diesem Patient:innenkollektiv zu erkennen, sondern möglicherweise auch, Risikofaktoren für zukünftige Blutungen zu identifizieren und individuelle Blutungsrisiken prospektiv abzuschätzen.
Heureka-Moment:
Junge Forschende stellen sich vor
Dr. Tim Dreier
Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien
E-Mail:
tim.dreier@meduniwien.ac.at
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