Praxisverändernde Studien bei Urothel- und Prostatakarzinom
Bericht:
Dr. Ine Schmale
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Die Therapielandschaft für die Behandlung von urologischen Tumoren ist in steter Veränderung. Die Fortschritte zeigen sich insbesondere für frühe Therapielinien. Im Folgenden ein Überblick über praxisverändernde Studien, die bei der ESMO-Jahrestagung 2025 präsentiert wurden.
Harnblasenkarzinom
Perioperative Kombination mit Enfortumab Vedotin und Pembrolizumab
Die neoadjuvante Cisplatin-basierte Chemo(immun)therapie plus radikale Zystektomie und Lymphknotendissektion (RC+PLND) ist der Behandlungsstandard beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom (MIBC). Etwa die Hälfte der oft älteren und komorbiden Betroffenen ist nicht Cisplatin-geeignet und hat bisher keine neoadjuvante Option. Die randomisierte, offene Phase-III-Studie KEYNOTE-905 untersuchte die perioperative Gabe von Enfortumab Vedotin plus Pembrolizumab (EV+Pembro) gegenüber der alleinigen RC+PLND.1 Primärer Studienendpunkt war das ereignisfreie Überleben (EFS).
Die 2019 initiierte Studie sah als experimentelle Medikation perioperatives Pembrolizumab vor. 2020 wurde der Arm mit EV+PembroundRC+PLND geöffnet und 2022 der Pembrolizumab-Arm geschlossen. Eingeschlossen und mit EV+Pembro plus RC+PLND oder nur RC+PLND behandelt wurden 344 Patient:innen, die nicht Cisplatin-geeignet waren oder eine Cisplatin-basierte Chemotherapie ablehnten.
Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt mit einer Risikoreduktion durch EV+Pembro um 60% (HR: 0,40; 95%CI: 0,28–0,57; p<0,0001). Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 25,6 Monaten war das mediane EFS im experimentellen Arm noch nicht erreicht und betrug 15,7 Monate im Kontrollarm (Abb. 1). Das Gesamtüberleben (OS) war mit einer Hazard-Ratio von 0,50 (95%CI: 0,33–0,74; p=0,0002) länger mit der perioperativen Therapie. Der Median war im experimentellen Arm noch nicht erreicht und betrug 41,7 Monate im Kontrollarm. Nach 24 Monaten lebten 79,7% versus 63,1% der Patient:innen und 74,7% versus 39,4% ereignisfrei. Eine pathologische Komplettremission im resezierten Tumorgewebe wurde bei 57,1% versus 8,6% der Patient:innen festgestellt. Die Verlängerung des EFS war unabhängig von einer erreichten pCR unter der perioperativen Behandlung mit EV+Pembro. Die Nebenwirkungen entsprachen dem bekannten Sicherheitsprofil der Wirksubstanzen. Die Tumor- und Lymphknotenresektion wurde durch die neoadjuvante Therapie nicht beeinflusst.
Fazit
Die perioperative Therapie mit Enfortumab Vedotin plus Pembrolizumab hat das Potenzial für einen neuen Therapiestandard bei MIBC-Patient:innen, für die eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht indiziert ist.
Adjuvantes Atezolizumab für ct-DNA-selektierte Patient:innen
In der IMvigor010-Studie konnte für die adjuvante Atezolizumab-Gabe kein Nutzen bei MIBC-Patient:innen bezüglich des DFS oder OS gezeigt werden.2 Durch Selektion der Patient:innen anhand von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) konnte in der Phase-III-Studie IMvigor011 nun ein relevanter Vorteil durch eine Atezolizumab-Therapie gezeigt werden.3
Es wurde bei 756 MIBC-Patient:innen 6–24 Wochen nach RC mit einer Überwachung der ctDNA (alle 6 Wochen) sowie durch Bildgebung (alle 12 Wochen) bis 1 Jahr postRC begonnen. War eine ctDNA-Probe zu irgendeiner Zeit positiv (ohne radiologischen Progress), erhielten die Patient:innen 2:1-randomisiert bis zu 1 Jahr Atezolizumab oder Placebo. Patient:innen mit ctDNA-negativen Befunden wurden beobachtet. Primärer Studienendpunkt war das krankheitsfreie Überleben (DFS) im Vergleich der randomisierten Studienarme.
379 der Patient:innen waren zu irgendeinem Zeitpunkt nach RC ctDNA-positiv und 250 wurden in den Atezolizumab- oder Placebo-Arm randomisiert. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 16,1 Monaten war das Risiko für einen Rückfall mit Atezolizumab gegenüber Placebo um 36% verringert (HR: 0,64; 95%CI: 0,47–0,87; p=0,0047). Im Median betrug das DFS 9,9 vs. 4,8 Monate. Auch das OS wurde in der ctDNA-positiven Kohorte mit Atezolizumab von median 21,1 auf 32,8 Monate signifikant verlängert (HR: 0,59; 95%CI: 0,39–0,90; p=0,0131). Nach 24 Monaten lebten 62,8% vs. 46,9% der Patient:innen. Die DFS- und OS-Raten von Patient:innen der persistierend ctDNA-negativen Kohorte lagen nach 24 Monaten bei 88,4% bzw. 97,1%.
Fazit
Mit einem ctDNA-Monitoring können MIBC-Patient:innen unterschieden werden, denen die adjuvante Therapie mit Atezolizumab nach radikaler Zystektomie einen Nutzen bringt oder denen eine unnötige Therapie erspart werden kann.
Vielversprechendes HER2-gerichtetes Antikörper-Wirkstoff-Konjugat
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC) sind sehr effektive Substanzen, bei denen das Zytotoxin durch einen Antikörper zum Tumor geleitet wird. Das HER2-gerichtete Disitamab Vedotin wurde in der chinesischen RC48-C016-Studie als Erstlinientherapie beim HER2-exprimierenden lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom untersucht.4
Randomisiert erhielten 484 Platin-geeignete Patient:innen Disitamab Vedotin plus den PD-1-Inhibitor Toripalimab oder 6 Zyklen Gemcitabin plus Cis- oder Carboplatin. Als duale primäre Endpunkte wurden das progressionsfreie Überleben (PFS) und das OS geprüft. Für beide Endpunkte konnte mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 18,2 Monaten ein signifikanter Vorteil für die experimentelle Therapie berichtet werden. Das mediane PFS lag bei 13,1 Monaten vs. 6,5 Monate (HR: 0,36; 95%CI: 0,28–0,46; p<0,0001) und das mediane OS bei 31,5 Monaten vs. 16,9 Monate (HR: 0,54; 95%CI: 0,41–0,73; p<0,0001). Ein Ansprechen wurde bei 76,1% vs. 50,2% der Patient:innen beobachtet, die Dauer des Ansprechens betrug median 14,6 vs. 5,6 Monate. Therapieassoziierte Nebenwirkungen führten bei 12,3% vs. 10,4% der Patient:innen zum Therapieabbruch.
Fazit
Disitamab Vedotin plus Toripalimab ist eine vielversprechende Therapieoption in der ersten Therapielinie für Patient:innen mit HER2-exprimierendem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom.
Prostatakarzinom
Verträglichere Therapie mit Darolutamid und Docetaxel/ADT
Die Tripeltherapie mit einer Androgendeprivationstherapie (ADT), Darolutamid und Docetaxel (75mg/m2, q3w) ist auf Basis der Daten der Phase-III-Studie ARASENS für Patient:innen mit metastasiertem, hormonsensitivem Prostatakarzinom (mHSPC) indiziert.5 Komplikationen aufgrund einer Docetaxel-induzierten Neutropenie verhindern aber eine breite Anwendung von Docetaxel-basierten Regimen. In der ARASAFE-Studie wurde deshalb untersucht, ob eine geringere Docetaxel-Dosis (50mg/m2) in 2-wöchentlicher Applikation die Nebenwirkungen von Grad 3–5 reduzieren kann.6
Insgesamt wurden 250 Patient:innen in einem Alter von median 67–68 Jahren in die ARASAFE-Studie eingeschlossen. Sie erhielten durchschnittlich 5,6 Dosen (q3w) vs. 10,7 Dosen (q2w) Docetaxel, kumulativ waren dies 842,8 vs. 1073,5mg. Die Häufigkeit anNebenwirkungen von Grad3–5 wie auch von Neutropenien Grad3–4 oder Tod (primäre Endpunkte) wurde mit der 2-wöchentlichen Gabe signifikant reduziert. Nebenwirkungen von Grad 3–5 traten bei 78,9% versus 61,2% der Patientinnen auf (p=0,0024), Neutropenien von Grad 3–4 oder Tod jedweder Ursache bei 64,1% versus 24,0% (p<0,0001). Die Wirksamkeit sowie die Lebensqualität werden in der laufenden Studie weiter untersucht.
Fazit
Die ARASAFE-Studie bestätigt die Hypothese, dass mit einer modifizierten Docetaxel-Applikation die Sicherheit der Tripeltherapie in Kombination mit Darolutamid und ADT verbessert werden kann. Die modifizierte Docetaxel-Dosierung ist für die Tripeltherapie ein möglicher neuer Standard.
PSMA-gerichtete Radioligandentherapie im hormonsensitiven Stadium
In der Phase-III-Studie PSMAddition wurde 177Lu-PSMA-617 zusätzlich zu einer ADT plus Androgenrezeptor-Inhibitor (ARPI) bei Patient:innen mit PSMA-positivem mHSPC geprüft.7 Untersucht wurden als wichtigste Endpunkte das radiologische PFS (primärer Endpunkt), die Sicherheit und das OS. Ein Cross-over vom Kontroll- in den experimentellen Studienarm nach radiologischem Progress war erlaubt und wurde von 16% der Patient:innen wahrgenommen.
Die Auswertung nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 23,6 Monaten zeigte eine signifikante Reduktion des Risikos für einen Krankheitsprogress oder Tod bei zusätzlicher Behandlung mit 177Lu-PSMA-617 zu ADT und ARPI (HR: 0,72; 95%CI: 0,58–0,90; p=0,002). Der Median war in beiden Studienarmen noch nicht erreicht. Für das OS lag die Hazard-Ratio nach 14,9% Ereignissenvs. 17,3% in den Studienarmen bei 0,84 und zeigte einen Trend für den Vorteil durch die Radioligandentherapie (95%CI: 0,63–1,13; p=0,125). Es sprachen 87,3% versus 80,8% der Patient:innen auf die Studienmedikation an, 57,1% versus 42,3% erreichten eine Komplettremission (CR). Das Risiko für einen PSA-Progress wurde um 58% reduziert (HR: 0,42; 95%CI: 0,30–0,59) und das Risiko für die Kastrationsresistenz um 30% (HR: 0,70; 95%CI: 0,58–0,84). Es wurden keine neuen Sicherheitssignale beobachtet. Nebenwirkungen traten häufiger mit 177Lu-PSMA-617 als unter der alleinigen hormonellen Therapie auf. Die häufigsten Nebenwirkungen in Verbindung mit 177Lu-PSMA-617 waren ein trockener Mund, Fatigue und Übelkeit. In der Patientenbefragung nach der Lebensqualität wurden keine klinisch relevanten Unterschiede in der Zeit bis zur Verschlechterung der Lebensqualität oder der Schmerzen festgestellt.
Fazit
Die Kombination von 177Lu-PSMA-617 plus ADT und ARPI hat einen klinisch relevanten Einfluss auf das PFS und andere Wirksamkeitsparameter bei Patient:innen mit PSMA-positivem mHSPC.
Quelle:
Jahrestagung der European Society of Medical Oncology (ESMO), 17.–21. Oktober 2025, Berlin und online
Literatur:
1Vulsteke C et al.: Perioperative enfortumab vedotin plus pembrolizumab in participants with muscle-invasive bladder cancer who are cisplatin-ineligible: The phase III KEYNOTE-905 study. ESMO 2025, Abstr. #LBA2 2 Bellmunt J et al.: Adjuvant atezolizumab versus observation in muscle-invasive urothelial carcinoma (IMvigor010): a multicentre, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol 2021; 22: 525-537 3 Powles TB et al.: IMvigor011: A phase III trial of circulating tumour DNA-guided adjuvant atezolizumab vs placebo in muscle-invasive bladder cancer. ESMO 2025, Abstr. #LBA8 4 Guo J et al.: Disitamab vedotin plus toripalimab versus chemotherapy in first-line locally advanced or metastatic urothelial carcinoma with HER2-expression. ESMO 2025, Abstr. #LBA7 5 Smith et al.: Darolutamide and survival in metastatic, hormone-sensitive prostate cancer. N Engl J Med 2022; 386: 1132-1142 6 Grimm MO et al. 3-weekly docetaxel 75mg/m2 vs 2-weekly docetaxel 50 mg/m2 in combination with darolutamide + ADT in patients with mHSPC: results from the randomised phase III ARASAFE trial. ESMO 2025, Abstr. #LBA92 7 Tagawa ST et al.: Phase III trial of [177Lu]Lu-PSMA-617 combined with ADT + ARPI in patients with PSMA-positive metastatic hormone-sensitive prostate cancer (PSMAddition). ESMO 2025, Abstr. #LBA6
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