Diagnose von Multipler Sklerose

Kappa-freie Leichtketten anstatt oligoklonaler Banden?

Der Nachweis oligoklonaler Banden gilt nach wie vor als Goldstandard zur Diagnosestellung einer Multiplen Sklerose. Allerdings gewinnt auch die Detektion von freien Leichtketten immer mehr an Bedeutung. Welche Vorteile bietet die Berechnung eines Kappa-freie-Leichtketten-Index? Und ist dieser dem Goldstandard gleichwertig oder sogar überlegen?

Keypoints

  • Der κ-FLC-Index spiegelt eine intrathekale Immunglobulinsynthese wider und kann zur Diagnose einer Multiplen Sklerose verwendet werden.

  • κ-FLC-Index und oligoklonale Banden zeigen eine vergleichbare diagnostische Performance (diagnostische Sensitivität und Spezifität für die Diagnosestellung von Multipler Sklerose).

  • Die Bestimmung des κ-FLC-Index ist einfach, schnell, kosteneffizient und liefert ein quantitatives Ergebnis.

  • Die Höhe des κ-FLC-Index korreliert mit der zukünftigen Krankheitsaktivität der Multiplen Sklerose und kann frühe Schubaktivität bzw. Behinderungsprogression anzeigen.

Hintergrund

Die Untersuchung des Liquor cerebrospinalis nimmt eine zentrale Rolle bei der Abklärung von Patient:innen mit Verdacht auf Multiple Sklerose (MS) ein. Der Nachweis einer intrathekalen Immunoglo-bulin(IgG)-Synthese gilt als Substitut für die zeitliche Dissemination gemäß den diagnostischen Kriterien (revidierte McDonald-Kriterien 2017) und erhöht die diagnostische Sicherheit. Der Goldstandard zum Nachweis einer intrathekalen IgG-Synthese ist bis dato die isoelektrische Fokussierung zur Detektion liquorspezifischer oligoklonaler Banden (OKB).

Plasmazellen produzieren nicht nur Immunglobuline, indem sie jeweils zwei leichte und zwei schwere Immunglobulinketten aneinanderfügen, sondern zusätzlich einen Überschuss von rund 10–40% Leichtketten (Abb. 1). Diese freien Leichtketten (FLC) können, wie Immunglobuline, bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie etwa der MS, im Liquor akkumulieren.

Abb. 1: Plasmazellen produzieren intakte Immunglobuline und im Überschuss auch freie Leichtketten. Beide Proteine können als Biomarker für intrathekale Inflammation verwendet werden (mod. nach Hegen et al.: Wien Med Wochenschr 2022; 172[15-16]: 337-45)

Die Entdeckung der FLC datiert zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als der britische Arzt Henry Bence Jones ein Protein im Urin eines Patienten durch Zugabe von Säure zur Ausfällung brachte. Identifiziert als FLC sind sie seit Langem in der Diagnostik von hämatologischen Erkrankungen im Serum etabliert. Jedoch gelang es erst Anfang dieses Jahrhunderts, die FLC quantitativ mit ausreichend hoher Sensitivität zu bestimmen und somit in Kompartimenten mit nur geringer Konzentration, wie im Liquor, nachzuweisen. Dies wurde durch die Herstellung von spezifischen Detektionsantikörpern ermöglicht, die Epitope erkennen, die ausschließlich auf FLC zu finden sind und unzugänglich sind, wenn Leichtketten im intakten Immunglobulin gebunden sind.

Eine Vielzahl von Studien hat mittlerweile die Bedeutung einer intrathekalen Kappa(κ)-FLC-Fraktion bei MS untersucht. Dabei wurde von der Mehrheit der Studien der sogenannte κ-FLC-Index berechnet:

Somit inkludiert der κ-FLC-Index nicht nur die κ-FLC-Konzentration im Liquor, sondern auch die κ-FLC-Konzentration im Serum und korrigiert für den Albuminquotienten (QAlb) ein etabliertes Maß für die Blut-Liquor-Schrankenfunktion.

Kappa-freie Leichtketten oder oligoklonale Banden?

Die Frage, ob der κ-FLC-Index und OKB eine gleichwertige diagnostische Performance aufweisen, wurde in einer rezenten Metaanalyse klar beantwortet. Insgesamt wurden mehr als 3300 MS-Patient:innen (und zumTeil Patient:innen mit klinisch isoliertem Syndrom) sowie mehr als 5800 Kontrollen (Patient:innen mit anderen neurologischen Erkrankungen) aus 32 Studien eingeschlossen. Es konnte gezeigt werden, dass der κ-FLC-Index eine diagnostische Sensitivität von durchschnittlich 88% und eine Spezifität von 89% erreicht, während die OKB eine Sensitivität von 85% und eine Spezifität von 92% zeigten. Auch im statistischen Modell unter Berücksichtigung der Variabilität zwischen den eingeschlossenen Studien konnte die Gleichwertigkeit von κ-FLC-Index und OKB bestätigt werden.

Zahlreiche Vorteile von κ-FLC-Index

Bei gleicher diagnostischer Performance besticht der κ-FLC-Index durch eine Reihe von Vorteilen. Zunächst ist die Bestimmung der κ-FLC einfach und schnell mittels Nephelometrie oder Turbidimetrie durchführbar. Weiters ist die κ-FLC-Bestimmung kostengünstig und das Ergebnis unabhängig von den befundenden Ärzt:innen. Schließlich stellt der κ-FLC-Index eine metrische Variable dar und erlaubt eine Prognoseabschätzung des weiteren Krankheitsverlaufes bei Patient:innen mit MS. So konnte gezeigt werden, dass die Höhe des κ-FLC-Index mit der Krankheitsaktivität bei Patient:innen mit früher MS korreliert und dies unabhängig von anderen Faktoren, wie beispielsweise der MRT-Läsionslast zu Erkrankungsbeginn.

Kürzlich wurde ein Konsensuspaper veröffentlicht, das den Stellenwert der Liquordiagnostik bei MS erläutert und vor allem auf die Unterschiede sowie die Vor- und Nachteile von κ-FLC-Index bzw. OKB eingeht (Tab. 1). Im Rahmen der letzten Tagung des ECTRIMS in Kopenhagen im September 2024 wurde die neue Revision der diagnostischen Kriterien für MS präsentiert und die Empfehlung abgegeben, die intrathekale κ-FLC-Synthese als Alternative zu den OKB in der Diagnosestellung der MS zu verwenden.

Tab. 1: κ-FLC-Index und OKB als Nachweis einer intrathekalen Immunglobulinsynthese

Conclusio

Zusammengefasst zeigt eine Erhöhung des κ-FLC-Index eine intrathekale Immunglobulinsynthese an und kann somit zur Diagnosestellung einer MS beitragen. Darüber hinaus mehrt sich Evidenz, dass auch eine prognostische Abschätzung hinsichtlich zukünftiger MS-Krankheitsaktivität möglich ist, was in der Folge als weiteres Kriterium für Therapieentscheidungen herangezogen werden könnte.

● Berek K et al.: Kappa-free light chains in CSF predict early multiple sclerosis disease activity. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 2021; 8(4): e1005 ● Hegen H et al.: Cerebrospinal fluid kappa free light chains for the diagnosis of multiple sclerosis: a systematic review and meta-analysis. Mult Scler 2023; 29(2): 169-81 ● Hegen H et al.: Cerebrospinal fluid kappa free light chains for the diagnosis of multiple sclerosis: a consensus statement. Mult Scler 2023; 29(2): 182-95

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